England schützt Tiergefühle per Gesetz. Machen wir das auch bald?
- Veröffentlicht: 25.06.2020
- 19:00 Uhr
- Galileo
Wie dürfen wir Tiere halten und nutzen? England verankerte die Gefühle von Tieren nun im Gesetz. Auch Deutschland diskutiert über Grundrechte für Tiere. Hier findest du alle Argumente im Überblick.
Das Wichtigste zum Thema Tierrechte
Wirbeltiere haben Gefühle - sie empfinden Freude, Leid und Schmerz. Das verankerte England in seinem Gesetz. Tierquäler sitzen mit der neuen Verordnung bis zu 5 Jahren statt wie bisher 6 Monate ein.
Neben der leidvollen Kohlendioxid-Vergasung von Schweinen verbietet das Gesetz auch den Import von Jagdtrophäen und Pelzen, den Export lebender Tiere und Primaten als Haustiere.
Auch Deutschland diskutiert immer wieder heiß über Tierrechte. Die Tierrechtsorganisation PETA klagte im Sommer 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht im Namen von Millionen Ferkeln. Sie forderten die Grundrechte für Tiere.
Der Grund: Bis zur Gesetzesänderung ab 1. Januar 2021 wurden in Deutschland jedes Jahr rund 20 Millionen männliche Ferkel kurz nach der Geburt kastriert - viele davon ohne Betäubung. Die Kastration soll den für manche Menschen unangenehmen "Ebergeruch" bei der Fleisch-Zubereitung vermeiden.
Eine Kastration ohne Betäubung ist nach Paragraf 5 des Tierschutzgesetzes verboten. Aber: Für männliche Ferkel unter 8 Tagen galt bis 2013 eine Ausnahme. Die hat der Bundestag zwar aufgehoben, aber die gewährte Umstellungsfrist wurde immer wieder verlängert - zuletzt bis Ende 2020. Mittlerweile ist die betäubungslose Ferkel-Kastration verboten.
Hinter der Forderung nach Grundrechten für Tiere steckt weit mehr als nur das Recht auf Schmerzfreiheit. Die Tierrechtler fordern auch ein Recht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit, wie wir Menschen es haben.
Befürworter:innen sehen in Grundrechten für Tiere einen Weg, Tierleid zu verhindern. Gegner halten die Forderung für übertrieben. Alle Argumente dafür und dagegen findest du hier.
Dafür oder Dagegen: Das Voting-Ergebnis
So haben die Zuschauer:innen in der Galileo-App abgestimmt.
Das sagen die Befürworter:innen
📖 Ohne Grundrechte ändert sich nichts. PETA sieht deshalb nur einen Ausweg: Die Politik soll Tieren eigene Grundrechte zuerkennen.
❗ Tiere sind von Natur aus Subjekte mit eigenen Interessen und Bedürfnissen - so müssen sie auch anerkannt werden, meint Christian Arleth, Rechtsanwalt bei PETA.
💵 Der Tierschutz bleibt hinter wirtschaftlichen Interessen zurück, meint Renate Künast, die Sprecherin der Grünen für Tierschutzpolitik. Sie sieht juristische Pfade als einzige Möglichkeit, etwas zu bewegen.
🧠 Die heutigen Gesetze zur Tierhaltung beruhen auf längst überholten wissenschaftlichen Erkenntnissen: Früher wurde zwischen dem rational denkenden Menschen und dem instinktgesteuerten Tier unterschieden, erklärt Verhaltensforscher Karsten Brensing. Aber: Es gibt keinen Instinkt. Tiere und auch wir Menschen werden über Mechanismen, die wir als Denken und Fühlen bezeichnen, gesteuert - und darin unterscheiden wir uns nicht groß. Warum also glauben wir, dass Menschen anders behandelt werden müssen als Tiere?
🐖 Tiere müssen ein artgerechtes Leben führen. Dazu zählt auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Wenn das nicht eingehalten werden kann, sollte man das Haltungssystem als Ganzes in Frage stellen und anpassen.
Das sagen die Gegner:innen
📖 Es gibt ein Tierschutzgesetz, das an bestimmte Bedürfnisse angepasst werden kann - das ist ausreichend.
👨💼 Grundrechte stehen unstreitig nur Menschen zu, meint Jurist Ralf Müller-Terpitz. Bei der Klage durfte es sich ihm zufolge um eine Marketing-Aktion von PETA handeln.
🌎 Wenn die Tierschutzlatte in Deutschland höher hängt als in anderen EU-Ländern, wird sich die Fleischproduktion ins Ausland verlagern. Länder, in denen Kastenstände verboten sind, importieren einen großen Teil des Schweinefleischs aus Ländern, die noch diese Metallkäfige nutzen. Deutschland hätte keine Kontrolle mehr über den Tierschutz.
👨🌾 Mit Grundrechten für Tiere wäre die heutige Nutztierhaltung unmöglich. Schon seit Jahren soll in Deutschland die sogenannte Tierschutz-Nutztierverordnung geändert werden. Denn: Durch die Zucht werden Sauen immer größer und viele Kastenstände zu klein. Geplant ist, den Schweinen mehr Platz zu geben. Aber die Entscheidung darüber wird immer wieder vertagt. Um alle Ställe umzubauen, müssten Schweinezüchter:innen Millionen von Euro investieren.
🐖 Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist nicht mit der Massentierhaltung vereinbar. Laut Nadine Henke, Tierärztin und Schweinezüchterin, müsse man Schweinen etwa die Ringelschwänze kürzen, weil sie sich die aufgrund von Stress und Platzmangel häufig gegenseitig abbeißen. Das kann schnell zu schmerzhaften Entzündungen und sogar zu Querschnittslähmung führen.
So haben sich Tierrechte über Jahrzehnte entwickelt
❗ Früher waren Tiere nach dem deutschen Recht einfach Sachen. Seit 1990 steht im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich: "Tiere sind keine Sachen."
📖 2002 wurde der Tierschutz sogar ins Grundgesetz aufgenommen. Die Verpflichtung des Staates, die Umwelt zu schützen (Artikel 20a Grundgesetz), wurde um die Worte "und die Tiere" erweitert.
👨⚖️ In einigen Bundesländern gibt es mittlerweile Klagemöglichkeiten für Tierschutzverbände.
👩⚖️ 2021 entschied sich das Bundesverfassungsgericht für das "Wohl" der Ferkel. Der Beginn eines Umdenkens?