EU einigt sich auf Öl-Embargo gegen Russland: Welche Folgen sind zu erwarten?
- Veröffentlicht: 31.05.2022
- 14:45 Uhr
- Galileo
Die EU-Kommission hat sich nach langen Diskussionen um ein Erdöl-Embargo gegen Russland auf eine Kompromiss-Lösung geeinigt. Wie kam es zu dem Kurswechsel und mit welchen Folgen müssten wir rechnen? Im Clip: Geht's auch ohne Erdöl?
Das Wichtigste zum Thema Öl-Embargo gegen Russland
Die Europäische Union legte bereits am 4. Mai 2022 einen Vorschlag für ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland vor. Enthalten war ein europaweites Embargo gegen russisches Erdöl. Grund dafür ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Die ukrainische Regierung hatte die EU-Länder seit dem Beginn der Invasion immer wieder aufgefordert, den Import von russischem Gas, Kohle und Öl zu sanktionieren. Deutschland unterstützt nun nach langem Zögern ein mögliches europäisches Öl-Embargo. Die Bundesregierung hat ihre Abhängigkeit von russischen Öl-Lieferanten nach eigenen Angaben zuletzt stark verringern können.
Einige EU-Länder - allen voran Ungarn, Tschechien und die Slowakei - hatten aber ein Veto gegen die Maßnahmen eingelegt, weil sie stark auf die Ressourcen aus Russland angewiesen sind.
Jetzt konnten sich die EU-Staaten auf einen Kompromiss verständigen. Dieser sieht für die betroffenen Staaten Ausnahmen vor. So sollen vorübergehend Öl-Bezüge per Pipeline, also über den Landweg, vom Embargo ausgenommen und nur die Schiffslieferungen betroffen sein.
Es ist nicht klar, wie schwer ein Embargo die deutsche Wirtschaft sowie die Bevölkerung treffen wird. Laut Bundeswirtschaftsminister Habeck müsse möglicherweise besonders in Teilen Ostdeutschlands vorübergehend mit starken Preisanstiegen und Versorgungsproblemen gerechnet werden. Vor allem ostdeutsche Bundesländer waren bislang von russischen Pipelines abhängig.
Ein schnelles und hartes Öl-Embargo könnte der russischen Wirtschaft auf langfristige Sicht empfindlich schaden. Denn trotz der Ausnahmen wird das Embargo laut EU-Ratspräsident Charles Michel mehr als zwei Drittel der Öl-Importe aus Russland betreffen.
Erdöl-Embargo gegen Russland: die Hintergründe zur Debatte
Seit dem Beginn des russischen Angriffes auf die Ukraine haben die EU-Länder über ein gemeinsames Embargo gegen Erdöl aus Russland diskutiert. Deutschland hatte sich zuletzt für das Einfuhr-Verbot ausgesprochen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei hingegen hatten die Maßnahme blockiert.
Nun haben sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Länder beim Gipfel in Brüssel auf einen Kompromiss geeinigt: Das Öl-Embargo gegen Russland soll kommen - mit bestimmten Ausnahme-Regelungen.
Allerdings müssen die EU-Botschafter:innen im Lauf der Woche noch die juristischen Details des Importstopps für russisches Öl ausarbeiten, bevor die Sanktionen in Kraft treten können.
Das Öl-Embargo ist ein Bestandteil eines sechsten Sanktionspakets, welches die EU gegen Russland verhängt hat. Dieses beinhaltet erstmals auch Strafen gegen die größte russische Bank, die Sberbank. Sie soll nun ebenfalls vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden.
Zudem dürfen Russlands staatlicher Fernseh-Nachrichtensender Russia 24 (Rossija 24) sowie die ebenfalls staatlichen Sender RTR Planeta und TV Centre ihre Inhalte nicht mehr in der EU verbreiten.
Wie sehen die Beschlüsse zum Öl-Embargo aus?
Zunächst werden nur Öl-Lieferungen verboten, die über den Seeweg - also per Tankschiff - nach Europa gelangen, während der Rohstoff vorerst weiter durch die russische Druschba-Pipeline fließen darf.
Die Röhre hat zwei große Versorgungsgebiete: einerseits Polen und die ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna, andererseits Ungarn, die Slowakei und Tschechien.
Deutschland und Polen haben trotz der Ausnahme bereits angekündigt, die Pipeline ab sofort nicht mehr nutzen zu wollen. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz habe die Regierung Wege beschritten, um „bis Ende des Jahres auch aus den Ölimporten und der Abhängigkeit von Russland herauszukommen."
Auch die meisten anderen EU-Staaten haben bekannt gegeben, ihre Öl-Einfuhren aus Russland spätestens bis Ende 2022 beenden zu wollen.
Wie kompensiert Deutschland die Maßnahmen?
Anfang Mai hatte der deutsche Vizekanzler und Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck bekannt gegeben, dass ein Erdöl-Embargo für Deutschland "handhabbar" geworden sei. An ein Einfuhrverbot für russisches Erdgas sei aber noch nicht zu denken.
Der Grund für die deutsche Kurswende sind Erfolge bei der Suche nach alternativen Öl-Lieferanten. So habe das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zusammen mit der Mineralöl-Wirtschaft in den vergangenen Monaten begonnen, die Lieferabkommen mit Russland zu beenden. Alte Verträge seien nicht verlängert und neue geschlossen worden. Woher das Öl in Zukunft kommen soll, hat die Regierung noch nicht bekannt gegeben.
Deutschland hatte bislang gut ein Drittel (35 Prozent) seines Erdöl-Bestandes aus dem osteuropäischen Staat importiert. Laut Minister Habeck beschränkt sich die Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Rohöl aktuell nunmehr auf nur zwölf Prozent.
Hier liegen die weltweit größten Erdöl-Reserven
Mögliche Folgen eines Öl-Embargos für deinen Alltag
Ein Erdöl-Embargo gegen Russland hätte laut Robert Habeck Folgen für Deutschland: Zwar sei die Energieversorgung sichergestellt, doch Verbraucher:innen und Unternehmen "werden weiter mit höheren Preisen rechnen müssen", so der Minister.
Sowohl die Preise für Alltagsprodukte als auch die Kraftstoff- und Energiekosten könnten steigen. Erdöl steckt in vielen Gegenständen deines Alltags, wie Plastik, Kosmetik, Kleidung etc. Wann und wie stark sich die Güter verteuern, ist aktuell kaum abzuschätzen. Das Embargo wird sich auch auf nationale und auf internationale Handelsketten auswirken.
Die Nachfrage nach russischem Rohöl ist seit Kriegsbeginn stark gesunken. Somit ist der Rohstoff aus Russland gerade recht billig. Kaufen wir Öl aus anderen Ländern ein, steigt mit der Nachfrage in der Regel auch der Preis. Mögliche Folgen: Lieferengpässe und höhere Preise für Rohöl und Erdöl-Produkte.
Brennpunkt Ostdeutschland
Insbesondere ostdeutsche Regionen waren bisher von russischem Öl abhängig. Sie könnten bei einem Embargo von stark erhöhten Preisen oder gar von einem Energie- und Sprit-Notstand betroffen sein.
Aktuell versorgt die Raffinerie PCK in Schwedt Berlin und Brandenburg zu 90 Prozent mit Benzin, Kerosin, Diesel und Heizöl - neun von zehn Autos fahren also mit PCK-Kraftstoff. Das Werk gehört mehrheitlich dem russischen Staatskonzern Rosneft. Es bezieht sein Erdöl deshalb ausnahmslos über die Druschba-Pipeline aus Russland und hat kein Interess daran, ein Embargo mitzutragen. Die Bundesregierung erwägt als letztes Mittel eine Enteignung, um den Standort zu erhalten und dort eine "zukunftsfähige Industrie" aufzubauen.
Die Raffinerie Leuna des französischen Mineralölunternehmens TotalEnergies in Sachsen-Anhalt hängt ebenfalls am Druschba-Netzwerk. Sie beliefert rund 1.300 Tankstellen im eigenen Bundesland, in Sachsen und Thüringen. Anders als PCK will sie russisches Öl bis zum Jahresende ersetzen. Auch Bezieher in Westdeutschland haben sich laut Habeck bereits neue Lieferanten gesucht.
Wie hart würde das Embargo Russland treffen?
Russland baute bisher stark auf Einnahmen aus dem Ölgeschäft: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes exportierte das Land unter Präsident Wladimir Putin 2021 gut 230 Millionen Tonnen Rohöl sowie 144 Millionen Tonnen Erdöl-Produkte im Wert von rund 171 Milliarden Euro. Die Hälfte ging nach Europa.
Mit einem Verbot von Öllieferungen per Schiff könnte die EU zwei Drittel des russischen Öls blockieren; durch den Verzicht Deutschlands und Polens auf Pipeline-Lieferungen wären es sogar 90 Prozent.
Bereits seit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Nachfrage an russischem Öl auch ohne ein Embargo gesunken. Wie Deutschland hatten sich viele andere Staaten schon vor dem Embargo neue Lieferanten gesucht; an manchen Häfen durften russische Tanker bereits gar nicht mehr anlegen oder wurden nicht entladen.
Russland ringt deshalb nun um Abnehmer in Asien, insbesondere Indien und China. Allerdings fehlt die nötige Infrastruktur, um den Bedarf der Länder ausreichend zu decken. Das Öl-Embargo wird die russische Wirtschaft daher empfindlich treffen.