Placebo-Effekt: Wie funktionieren die Schein-Medikamente?
- Veröffentlicht: 25.07.2022
- 13:00 Uhr
- Bianca Leppert
Der Placebo-Effekt fasziniert die Medizin: Obwohl Menschen nur eine Schein-Behandlung oder ein Schein-Medikament bekommen, werden ihre Beschwerden gelindert. Wie er funktioniert, wann Placebos verwendet werden und vieles mehr, erfährst du hier!
Das Wichtigste zum Thema Placebo-Effekt
Placebo ist ein lateinisches Wort und bedeutet übersetzt "Ich werde gefallen". Als Placebo-Effekt wird die Schein-Wirkung eines Medikaments oder einer Behandlung bezeichnet.
Beim Placebo-Effekt handelt es sich nicht um eine Einbildung, sondern es gibt körperliche Beweise, dass es dir besser geht.
Placebos kommen beim Testen neuer Medikamente und bei verschiedenen Therapien zum Einsatz.
Vor einer Placebo-Behandlung ist es wichtig, dass der Arzt oder die Ärztin überprüft, dass die zu behandelnde Person keine lebensbedrohliche oder behandlungsbedürftige Erkrankung hat.
Während eine Gruppe das neue Medikament verabreicht bekommt, erhält die Kontrollgruppe in Arzneimittel-Studien ein Schein-Medikament.
Vorgetäuschte Operationen können zudem auch zur Beschwerde-Linderung beitragen.
Verbesserungen innerhalb der Kontrollgruppe können nicht immer dem Placebo-Effekt zugeordnet werden. Für ein fundiertes Ergebnis ist der Vergleich mit unbehandelten Probanden und Probandinnen nötig.
Der Nocebo-Effekt beschreibt das Phänomen von negativen gesundheitlichen Nebenwirkungen aufgrund einer Schein-Behandlung oder negativer Assoziationen. Im Gegensatz zum Placebo-Effekt werden Beschwerden verschlimmert oder hervorgerufen.
Was ist der Placebo-Effekt?
Placebos, beziehungsweise Schein-Medikamente, sind Medikamente ohne Wirkstoff. Der Placebo-Effekt tritt ein, wenn nach Einnahme des Präparats oder einer anderen Therapie eine positive psychische oder körperliche Reaktion erfolgt. Dabei ist der Effekt nicht auf das wirkstofffreie Medikament oder therapeutischen Maßnahmen - wie zum Beispiel Schein-Operationen oder Schein-Akupunktur - zurückzuführen.
Dr. Ulrike Bingel, Schmerz-Forscherin der Universität Hamburg, berichtet, dass 20 bis 90 Prozent der Probanden und Probandinnen von Studien auf Placebos reagieren. Jedoch profitieren Medikamente mit Wirkstoff von dem Placebo-Effekt, da dadurch die Wirksamkeit verstärkt wird.
Wie funktioniert der Placebo-Effekt?
💊 Der Placebo-Effekt beruht auf der positiven Erwartungs-Haltung, dass es eine Wirkung gibt. Und auf der Konditionierung, also der Kopplung an einen unbewussten Reiz. Etwa, wenn du ein Medikament immer mit einem bestimmten Saft einnimmst oder eine Pille eine bestimmte Farbe hat.
🙏 Die Hoffnung und der Glaube daran aktivieren offenbar Nervenzellen und Hormone und tragen zu den Selbstheilungs-Kräften des Körpers bei.
🩺 Ein weiterer Wirkfaktor sind Erfahrungen, die bisher mit Medikamenten gemacht wurden. Sollte die Erinnerung an ein Schmerzmittel mit Wirkstoff positiv sein, da es zuverlässig gegen die Schmerzen gewirkt hat, wird unterbewusst davon ausgegangen, dass ein Schmerzmittel erneut wirken wird. Aufgrund dieser Basis und eines bedingten Reflexes kann auch ein Präparat ohne Wirkstoff gegen Schmerzen helfen.
🎨 Die Farbe, Form und Größe der Schein-Medikamente sind Einflussfaktoren, die für den Placebo-Effekt wichtig sind. Eine stimulierende Wirkung wird bei Tabletten, Kapseln und Dragees in Rot-Tönen erwartet, währenddessen Blau-Töne eine beruhigende Wirkung haben. Teure Placebos erzielen in einer Studie eine bessere Wirkung, als wenn die Probanden und Probandinnen von billigen Medikamenten ausgehen.
💪 Forscher:innen des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltens-Immunbiologie der Universität Essen konnten zeigen, dass teilweise bis zu 80 Prozent der Wirkung starker Medikamente bei Autoimmun-Krankheiten auch durch Placebos erreicht werden können.
Was passiert beim Placebo-Effekt im Körper?
💭 Der Placebo-Effekt ist keine Einbildung. Du redest dir nicht ein, dass es dir besser geht, sondern es gibt körperliche Beweise dafür.
👩⚕️ Festgestellt wurde eine schmerzlindernde Wirkung durch Placebos zum Beispiel im Bereich des Rückenmarks. Das belegten unter anderem die Forscherin Ulrike Bingel und ihre Kolleg:innen von der Universität Hamburg in einer Studie.
🧠 Auch im Großhirn wie der Amygdala, wo Erfahrungen abgespeichert sind, werden entspannende Botenstoffe ausgeschüttet. Der kontrollierende präfrontale Kortex im Gehirn hat offenbar ebenfalls Einfluss auf die Hirn-Areale, die für die Schmerz-Wahrnehmung zuständig sind.
😄 Placebos aktivieren das körpereigene Schmerz-Abwehrsystem, dadurch werden Schmerzen durch die Ausschüttung von Endorphinen aufgrund von positiven Erwartungen gelindert. Das Gehirn wird durch die körpereigenen Opioide angeregt. 1978 haben der Neurowissenschaftler Jon Levine und sein Team herausgefunden, dass die Einnahme des Opioid-Antagonistens Naloxon bei Patienten und Patientinnen die Wirkung von Placebos aufhebt.
💊 Der Placebo-Effekt ist im Zusammenhang mit dem Immunsystem gut erforscht und mit Placebos kann die Wirkung bestimmter Medikamente imitiert werden. Der ausschlaggebende Mechanismus ist die Konditionierung, dabei reagieren Patienten und Patientinnen auf die Vorerfahrungen mit echten Medikamenten.
Konditionierung: Ein erlernter Placebo-Effekt
Konditionierung bedeutet, dass der Körper verschiedene Reaktionen durch Erfahrung erlernen kann. Besonders bekannt ist das Experiment des russischen Arztes Iwan Petrowitsch Pawlow. Er stellte fest, dass der Hund sabbert, sobald er nur den Besitzer oder die Besitzerin kommen hört - weil er damit die Fütterung verbindet.
Pawlow leitete daraus seinen Versuch ab. Er läutete jedes Mal eine Glocke, wenn der Hund Futter bekam. Nach mehreren Durchgängen läutete er nur noch die Glocke, ohne den Hund zu füttern. Trotzdem sabberte der. Das Tier hatte also das Läuten der Glocke als Zeichen für die Fütterung verbunden - und damit setzte automatisch die körperliche Reaktion ein.
Wie funktioniert Konditionierung? Das Experiment von Pawlow
Placebo-Effekt: Wie funktionieren die Schein-Medikamente?
Placebo-Effekt: So unterscheiden sich die einzelnen Schein-Medikamente
Es werden verschiedene Gruppen von Placebos unterschieden:
- Echte oder reine Placebos: Schein-Medikamente mit pharmakologisch unwirksamen Substanzen oder anderen Hilfsstoffen zur Geschmacks-Korrektur oder Farbgebung.
- Pseudo-Placebos: Diese beinhalten pharmakologisch wirksame Substanzen in einer so niedrigen Dosis, dass sie keine spürbare Wirkung hat. Der Einsatz in Studien erfolgt, wenn der Medikamenten-Geschmack dem echten Präparat nachempfunden werden soll oder das Placebo-Medikament ähnliche Nebenwirkungen verursacht wie das richtige Medikament.
Klappt der Placebo-Effekt nur bei Ahnungslosigkeit?
Es gibt sogar Open Label Placebos. Das bedeutet, die Patienten und Patientinnen werden voll darüber aufgeklärt, dass sie ein Placebo bekommen - und es bessern sich trotzdem ihre Beschwerden. Das belegte unter anderem der Placebo-Forscher Ted Kaptchuk.
Der Effekt hängt nicht mit der Unwissenheit von Patienten oder Patientinnen zusammen. Wissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass Placebos auch mit einer bewussten Einnahme ihre Wirkungen entfalten. Essenziell ist die positive Erwartung an die Wirksamkeit, die bei der Verordnung erzielt werden kann. Dabei wird darauf hingewiesen, dass schon vielen Menschen mit ähnlichen Gesundheits-Beschwerden gut geholfen wurde.
Placebo Risiken: Der Nocebo-Effekt
Das Gegenteil des Placebo-Effekts ist der sogenannte Nocebo-Effekt. Wobei Placebo mit "Ich werde gefallen" und Nocebo "Ich werde schaden" übersetzt werden. Er bezeichnet das Phänomen, wenn es zum Beispiel durch die Risiko-Aufklärung vor einer OP zu Nebenwirkungen kommt oder ein Medikament weniger wirksam ist, weil das von Arzt oder Ärztin so suggeriert wurde.
Placebo-Effekt: Welche Schein-Behandlungen gibt es?
✔️ Operationen: Schein-OPs können eine ähnliche Wirkung haben wie echte Eingriffe. Das zeigte beispielsweise der Orthopäde Bruce Mosley vom Baylor College of Medicine in Houston. Bei den Patienten und Patientinnen, die einer Knie-OP unterzogen wurden, und anderen, denen der Eingriff nur vorgetäuscht wurde, zeigte sich in einem Zeitraum von zwei Jahren kein Unterschied.
✔️ Spritzen: Injektionen ohne Wirkung werden bessere Wirksamkeit als jeder anderen Schein-Behandlung nachgesagt. Besonders dann, wenn ein Arzt oder eine Ärztin sie verabreicht.
✔️ Medikamente: Die Patienten oder Patientinnen nehmen Schein-Medikamente ein, die sich kaum von wirkstoffhaltigen Präparaten unterscheiden lassen.
Schein-Akupunkturen können ebenfalls Schmerzen lindern
Schein-Akupunktur: Ob eine Akupunktur nach den klassischen Vorgaben der traditionellen chinesischen Medizin oder an unwirksamen Punkten durchgeführt wird, macht laut der sogenannten GERAC-Studie oft keinen Unterschied. Auch das Setzen der Nadeln an den falschen Punkten kann helfen.
Placebo-Effekt: Wann werden Placebos in der Medizin verwendet?
Der Einsatz von Placebos erfolgt zur Therapie bei Beschwerden und zum Testen neuer Medikamente. Die ärztliche Überprüfung vor einer Placebo-Behandlung ist essenziell, um eine lebensbedrohliche oder behandlungsbedürftige Erkrankung auszuschließen.
- Klinische Studien: Zur Bewertung neuer Medikamente wird die Wirksamkeit mit bisherigen Standard-Therapien verglichen. Gibt es keine Standard-Therapie, dann wird das neue Präparat gegen ein Placebo getestet. Dabei erhält eine Patienten-Gruppe das echte Medikament und die andere Gruppe das Schein-Medikament, das in Form, Farbe und Geschmack dem richtigen Präparat gleicht. Dabei wissen die Patienten und Patientinnen nicht, dass sie ein Placebo erhalten. Die Wirksamkeit eines neuen Medikaments wird erst als solche eingestuft, wenn eine bessere Wirksamkeit als beim Placebo vorhanden ist.
- Therapie: Bei leichten Beschwerden können Placebos zur Therapie eingesetzt werden. Der Einsatz ist sinnvoll, wenn die Ursache psychisch bedingt ist oder ein Medikament mit Wirkstoff sich aus medizinischen Gründen nicht eignet. Die Verabreichung von Placebos ohne vorherige Aufklärung ist ethisch nicht vertretbar. Die Ausübung einer Placebo-Therapie muss mit den Betroffenen abgeklärt werden.
Wann ist die Wirkung eines Placebos besonders stark?
💊 Die Wirkung von farbigen Zucker-Pillen ist effektiver als weiße Pillen; kleine und große Pillen sind besser als mittelgroße und Kapseln wirken besser als Tabletten. Zudem ist die Farbe ein wichtiger Punkt: Für eine beruhigende Wirkung werden blaue Pillen eingesetzt, wohingegen rote als anregend wirken. Auch der Geschmack hat einen Einfluss - bittere Medizin kann den Effekt verstärken.
💉 Spritzen, sowie Schein-Operationen, bei denen die Haut nur oberflächlich eingeschnitten wird, und Schein-Akupunktur, bei der die Nadeln die Haut nicht durchstechen, erzielen meist einen noch größeren Placebo-Effekt als Medikamente. Invasive Methoden werden meist als wirkungsvoller empfunden, daher ist die Erwartung wichtig. Zudem spielt die behandelnde Person auch eine Rolle: Placebos von Ärztinnen oder Ärzten wirken stärker als von Pflegenden.
🔬 Weitere Einfluss-Faktoren sind die Bezeichnung der Arznei oder die Einnahme-Bedingungen. Die Wirkung ist größer, wenn der Name des Medikamentes wichtiger klingt und die Anweisungen zur Anwendung komplizierter sind.
👩 Das Geschlecht sowohl der Patienten und Patientinnen als auch der behandelnden Ärzte oder Ärztinnen wirken sich auf den Placebo-Effekt aus. Für Frauen sind Placebos besser als für Männer und das Vertrauen zu Ärztinnen ist größer als zu Ärzten.
So kann dir der Placebo-Effekt helfen
🤒 Den Konditionierungs-Effekt kannst du so nutzen: Bringe ein Medikament, das bisher immer gut gewirkt hat, mit einem bestimmten Sinnesreiz in Verbindung.
🤒 Wer beispielsweise Kopfschmerzen hat und die Schmerz-Tablette immer mit einem bestimmten Geruch wie Pfefferminz-Öl auf der Stirn kombiniert oder die Tablette mit geschmacksintensivem Sanddorn-Saft zu sich nimmt, verbindet den Sinnesreiz mit der Wirkung. Aktuell wird untersucht, ob sich so auf Dauer der Konsum von Schmerz-Mitteln reduzieren lässt.
🤒 Das Einschlafen fällt dir schwer und du greifst öfter mal zu Schlaf-Tabletten? Die Kombination zwischen Tabletten und beispielsweise ein paar Tropfen Lavendel-Öl kann dies langfristig lösen. Zusammen mit dem Präparat nimmst du das Öl ein und behältst es einige Zeit im Mund. Womöglich kannst du bald nur mit dem Öl schon besser schlafen.
🤒 Solltest du in medizinischer Behandlung sein, bespreche die Medikamenten-Einnahme aber immer mit deinem Arzt oder deiner Ärztin!
Alles Wissenswerte zum Placebo-Effekt auf einen Blick
Ein Placebo ist ein Arznei-Mittel ohne die Inhalte eines Arznei-Stoffes und hat daher keine pharmakologische Wirkung.
Der Placebo-Effekt beschreibt die Linderung und Heilung mithilfe eines Medikaments, das keinen Wirkstoff enthält.
Die Präparate nennen sich Placebos und sehen aus wie handelsübliche Tabletten. Von den Inhalten her werden Füllstoffe genutzt wie Milchzucker und Stärke. Jedoch sind nicht nur Tabletten für Placebo-Behandlungen im Einsatz, auch Schein-Operationen oder Schein-Akupunktur können eine lindernde Wirkung haben.
Die Schein-Präparate aktivieren im Gehirn genau die gleichen Botenstoffe, die auch Schmerz-Tabletten aktivieren, daher ist der Placebo-Effekt keine Einbildung. Insbesondere in der Schmerz-Therapie ist der Effekt gut erforscht.
Zum Testen neuer Medikamente oder bei Schmerz-Therapien werden Placebos eingesetzt. Es ist nur wichtig, dass der Arzt oder die Ärztin vorab prüft, dass die Symptome keine lebensbedrohliche Erkrankung auslösen können.