Sagenhaftes Vineta: Versank die Stadt wirklich in der Ostsee?
- Veröffentlicht: 03.07.2022
- 08:45 Uhr
- Sven Hasselberg
Vineta wird oft als Atlantis der Ostsee bezeichnet. Legenden erzählen von einer prachtvollen Handelsstadt, die angeblich im Meer versank. Wir erklären, was an dem Mythos Vineta dran ist. Im Clip: die versunkene Stadt Rungholt.
Das Wichtigste zum Thema Vineta
Laut der Sage lebten die Menschen in der reichen Stadt Vineta dermaßen in Saus und Braus, dass Gott eine Sturmflut schickte. Sie riss die hochmütige und moralisch verdorbene Gesellschaft in die Ostsee.
Die Bewohner:innen sollen feinste Kleider und edelsten Schmuck getragen haben und selbst die Hufe der Pferde beschlugen sie mit Gold und Silber. Schweine fraßen aus goldenen Trögen.
Historische Quellen berichten ebenfalls von einer riesigen Metropole an der Odermündung. Ihr Reichtum war irdischer: Selbst mit Byzanz und China trieb sie Handel. Um 935 nach Christus erwähnt Ibrahim ibn Jaqub, ein Gesandter des Kalifen von Cordoba, diese reale Stadt zum ersten Mal.
Vineta scheint eine Mischform zu sein. Es gibt historische Wurzeln, ausgeschmückt mit einer gehörigen Portion Legendenbildung. Der Sage nach warnte eine Fata Morgana vor dem Untergang. Wir erklären, was dahintersteckt.
Willst du wissen, welche Städte heute noch darum wetteifern, auf den Mauern Vinetas erbaut worden zu sein, was ausgegrabene Wikingerschätze damit zu tun haben und was an den historischen Quellen dran ist? Lies weiter.
Vineta: 6 legendäre Fakten
🥖 Verschwendung: Der Legende nach soll es in Vineta alles im Überfluss gegeben haben. Die Dächer waren mit Gold gedeckt, die Häuser aus Marmor und Alabaster. Selbst Kinder spielten mit Murmeln aus Silber. Löcher in Wänden stopften die verschwenderischen Bewohner:innen mit Brot.
🏰 Fata Morgana: Die erste Warnung des bevorstehenden Untergangs sollen die Bewohner:innen durch eine Lichtspiegelung über dem Meer erhalten haben. Und sieht man Menschen, Schiffe oder Städte doppelt, so unkte die Sage, bedeute dies den sicheren Untergang.
🧜♀️ Wasserfrau: Eine Nixe sei als zweite Warnung aufgestiegen und sagte den Reim, "Vineta, Vineta, du rieke Stadt, Vineta sall unnergahn, wieldeß se het väl Böses dahn". Also: "Vineta, Vineta du reiche Stadt, Vineta soll untergehen, denn es hat viel Böses getan".
🌊 Auftauchen: Alle 100 Jahre habe ein Sonntagskind die Chance, die Stadt zu erretten. Denn dann soll Vineta aus den Fluten auftauchen. Sobald das Sonntagskind die Stadt betrete und den Händler:innen etwas abkaufe, ist der Fluch gebannt. Auch wenn die Wahre nur einen Cent koste.
🔔 Glocken: Der Mythos erzählt von einer Gefahr, die bis heute lauert. Am Johannistag, dem 23. Juni, könne man am Ufer die Kirchenglocken hören. Achtung: Wer zu lange zuhöre, folge ihnen in die Tiefe.
🎼 Kunst: Es gibt Gemälde, Literatur und Filme über Vineta. Auch die Musik hat Vineta verewigt. Die DDR-Kultrockband Puhdys widmetet der Stadt ein Lied und schon Johannes Brahms komponierte ein Stück.
Ein Lied über Vineta
Hier singt der Universitätschor München das Lied Vineta von Johannes Brahms.
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Vineta - Der historische Weg zur Legende
Die ausgeschmückte Geschichte vom versunkenen Vineta ist eine Legende. Allerdings weisen historische Quellen darauf hin, dass es im 10. Jahrhundert wirklich eine große Handelsstadt an der Odermündung gab. Diese war multikulturell, da sie Verbindungen bis weit in den Süden hatte. Auch sie ging unter, aber wohl nicht in den Fluten, sondern im Krieg. Immer wieder ist im 12. Jahrhundert von einer Stadt die Rede, die die dänische Flotte zerstört habe.
Über die Jahrhunderte führte der historische Weg zur Legende. Es entstanden verschiedene Theorien zur Lage des sagenhaften Vineta. So wurden an der gesamten pommerschen Ostseeküste immer wieder Artefakte gefunden, vom Wikingerschatz bis zu uralten Hafenanlagen. Diese weisen zwar auf Handelsplätze oder eine große Metropole hin, belegen aber nicht explizit eine Zivilisation namens Vineta - und schon gar nicht die legendäre Geschichte.
Die Forschung nach einer realen Handelshochburg verwob sich mit der Zeit mit der Jagd nach dem Vineta aus der Sage. Dadurch tauchte Vineta ab dem 16. Jahrhundert auch auf Karten und in Berichten auf. Diese fußten nicht auf Tatsachen, sondern auf der Erzählung. Ludwig Bechstein nahm eine Variante der Vineta-Geschichte als Nummer 223 in sein "Deutsches Sagenbuch" von 1853 auf.
Vineta: Atlantis des Nordens
4 Anwärter auf die Vineta-Nachfolge
#1 Barth
Der Küstenort hat rund 9.000 Einwohner und liegt gut 35 Kilometer westlich von Stralsund. Die Vineta-Nachfolge begründet die Stadt damit, dass Ortsnamen aus alten Schriften eher auf die Umgebung von Barth hindeuten als auf eine Lage weiter östlich. Außerdem floss die Oder vor 1.000 Jahren noch durch ein anderes Bett. Der Fluss und seine Mündung gelten als einer der Hauptbezugspunkte der Lokalisierung. Ein Oder-Arm soll sich direkt hier in die Ostsee ergossen haben. Aussagekräftige Funde, die einen Bezug zu Vineta herstellen würden, gab es hier keine. Als die These 1999 Fahrt aufnahm, ließ Barth sich die Marke "Vineta" beim Deutschen Patentamt gleich mal schützen.
#2: Ruden
Die kleine Insel liegt vor der Peene-Mündung und zur See hin vor Usedom. Sie ist als Brut-Paradies für Vögel bekannt. Besonders im 17. Jahrhundert verzeichneten viele Karten Vineta genau dort. Auch diese Karten bezogen sich auf die Geschichten vor ihrer Zeit. Denn im 17.Jahrhundert hat Vineta nicht existiert, sonst gäbe es weit bessere Quellen und viele aussagekräftige Fundstücke. 1304 wütete in dieser Gegend die "Allerheiligenflut". Diese Katastrophe war ebenfalls Inspiration dafür, die versunkene Stadt Vineta in dieser Region zu verorten. Und 1905 wurde am "Peenemünder Haken", einem Landfinger von Usedom, außerdem ein Wikinger-Schatz gefunden. Eine Sensation, aber kein Beweis dafür, dass Vineta hier gelegen haben soll.
#3: Koserow
Das Seebad liegt an der Nordküste der Insel Usedom. Hier leben rund 1.700 Menschen. Bereits im 16. Jahrhundert vertraten Forschende die These, dass Vineta bei Koserow gelegen haben muss, da sie Usedom als Land der Vineter sahen. Außerdem gibt es dort das Vineta-Riff, auch Vinetabank genannt, eine Untiefe in der Ostsee. Es liegt gut 1,5 Kilometer von Damerow entfernt, was damals zu Koserow gehörte. Lange glaubten Forschende, die dortigen Steine könnten befestigte Molen gewesen sein. Es stellte sich aber heraus, dass diese Steine nicht beschlagen, sondern eher natürlichen Ursprungs waren. Die letzte Eiszeit muss sie dort abgelagert haben. Die Sage wird für Besucher:innen unter dem Läuten der Glocken bis auf Weiteres mittwochs um 16 Uhr auf der Seebrücke vorgelesen.
#4: Wolin
Gut 60 Kilometer östlich von Stettin gelegen, ist Wolin die einzige polnische Vineta-Kandidatin. Die Stadt liegt auf der gleichnamigen Ostsee-Insel. Heute leben dort rund 12.000 Menschen. Selbst der Fußball-Verein heißt "Vineta Wolin" und trägt im Logo einen Wikinger. Zumindest scheint Wolin besonders nahe an das echte historische Vorbild heranzureichen. Ausgrabungen belegen, dass dort ab dem 10. Jahrhundert ein sehr reicher Handels-Knotenpunkt gelegen haben soll. Unter anderem wurden arabische und andere ausländischen Münzen gefunden. Historiker:innen gehen davon aus, dass es sich um Jumne beziehungsweise Jomsburg handeln könnte. Es wurden Reste von Häusern, Pfahlwerk und einer Hafen-Befestigung ausgegraben. Auch eine Goldscheibe für den Dänenkönig Harald Blauzahn wurde hier gefunden. Historisch belegt ist ebenfalls eine Flucht der Bürger:innen vor den Dänen.
Andere Forschende bezweifeln aber, dass Wolin das sagenhafte Vineta ist. Es gibt historische Quellen, die darauf verweisen, dass es sich um verschiedene Städte handelt. Außerdem liegt Wolin nicht an der offenen See, sondern eher an einem engen Arm, der das Meer mit dem Haff verbindet. Für einen großen Handelshafen wäre dies zu umständlich gewesen. Das Foto unten zeigt die Nikolaikirche.