Wikipedia: Warum die Kritik am Online-Lexikon immer lauter wird
- Veröffentlicht: 28.03.2023
- 14:45 Uhr
- Galileo
Wer online etwas nachlesen möchte, schaut bei Wikipedia nach. Aber wie verlässlich ist das Nachschlagewerk? Und warum werden dafür dringend Autor:innen gesucht? Im Clip: Fünf Geheimnisse rund um Wikipedia.
Das Wichtigste zum Thema Wikipedia
Am 15. Januar 2021 feierte Wikipedia 20. Geburtstag. Als Gründer gilt weithin Jimmy Wales. Wichtige Ideen zu Wikipedia gehen auch auf Larry Sanger zurück, der sich aber schnell vom Projekt distanzierte.
Der Name setzt sich laut eigenen Angaben aus dem hawaiianischen Wort für "schnell" (Wiki) und dem Ende der englischen Übersetzung von "Enzyklopädie" (Pedia) zusammen. Ganz wörtlich ist Wikipedia also ein schnelles Nachschlagewerk.
Kostenloses Wissen für alle: Nach diesem Prinzip funktioniert das gigantische Online-Lexikon. Eigentlich jeder kann ehrenamtlich Artikel schreiben, damit das Schwarm-Wissen immer weiter wächst.
Wikipedia gehört zum gemeinnützigen Verein Wikimedia, der sich durch Spenden von jährlich ungefähr 100 Millionen Euro finanziert. Dank der Zuwendungen ist die Enzyklopädie frei von Werbung und wirtschaftlichen Interessen.
Wegen der vielen Freiheiten ist Wikipedia als Informationsquelle teilweise umstritten. Für Recherchen kann das Online-Lexikon ein hilfreicher Ausgangspunkt sein. Für Schul- oder Uni-Aufgaben etwa braucht es aber weitere Quellen.
Meilensteine der deutschsprachigen Wikipedia
🇩🇪 Die deutschsprachige Wikipedia ist seit 16. März 2001 online. So richtig bekannt wurde sie aber erst 2004, als nach und nach mehrere Massenmedien über sie berichteten. In den folgenden Tagen stürzten die Wikipedia-Server aufgrund des Ansturms neuer Nutzer:innen immer wieder ab.
🏆 Preisgekrönt: Gleich zwei "Grimme Online Awards" gab es 2005 in den Kategorien "Wissen und Bildung" sowie "Publikumspreis".
📚 2008 erschien "Das Wikipedia-Lexikon", das auf 992 Seiten die ersten Absätze der knapp 20.000 am häufigsten aufgerufenen Artikel beinhaltet.
📉 Mit rund 8.500 Personen pro Monat erreichte die Anzahl der aktiven Autoren, die mindestens fünf Beiträge pro Monat veröffentlichen, in den Jahren 2006 und 2007 ihren Höhepunkt. Seitdem ist der Wert rückläufig.
🥳 Am 27. Dezember 2009 erreichte die deutschsprachige Wikipedia die Ein-Millionen-Marke an Online-Artikeln, am 19. November 2016 die Zwei-Millionen-Marke.
🎖 Anfang 2020 erhielt der Wikipedianer Bernd Schwabe die Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland "für zehn Jahre ehrenamtliches Engagement in den Bereichen Bildung und Kultur und über 4.000 Wikipedia-Artikel mit Hannover-Bezug".
📊 Zum 20-jährigen Jubiläum ist die deutschsprachige Wikipedia mit über 2,5 Millionen Artikeln die Nummer Zwei hinter der englischen. Als gedrucktes Lexikon wären das etwa 1.500 Bände. Sie ist die einzige nicht-kommerzielle Seite in den Top 20 der meistgenutzten Webseiten.
Wie verlässlich ist Wikipedia?
Verschiedene Umfragen zeigen: Menschen weltweit vertrauen und nutzen regelmäßig Wikipedia. Trotz der allgemeinen Beliebtheit hat das Online-Lexikon aber auch einige Kritiker:innen.
Als Nutzer:in solltest du immer bedenken: Nicht alles, was bei Wikipedia steht, stimmt auch. Beim Lesen der Artikel ist ein kritischer Blick wichtig.
👩🎓 Für Schule und Uni ist es nur bedingt brauchbar
Sehr gute Wikipedia-Artikel basieren auf bedeutsamen journalistischen oder noch besser wissenschaftlichen Belegen. Dadurch können sie dir einen wesentlichen Überblick über ein Thema geben.
Als einzige Quelle für Schul- oder Uni-Aufgaben eignet sich Wikipedia dadurch aber trotzdem nicht. Das Problem: An den Artikeln schreibt eine Vielzahl an Autor:innen. Diese sind höchstens unter Pseudonymen bekannt, viele bleiben anonym. Auch deren fachliche Qualifikation ist nicht nachvollziehbar.
Wikipedia-Artikel sind daher eher ein hilfreicher Startpunkt für tiefer gehende Recherchen.
Wikipedia: Das Problem mit Diskriminierung und Sexismus
Löschung von Biografien über Frauen
Immer wieder gibt es Vorwürfe Wikipedia sei sexistisch. Anfang 2023 wurden die Vorwürfe von der Influencerin "Dariadaria" medial aufgegriffen. Trotz eines Buches, das sich sehr gut verkaufte, einem erfolgreichen Podcast und einem Modeunternehmen wurde ihre Biografie gelöscht. In der Diskussion zur Löschung wurde gesagt, dass sich "(...) seit damals nicht wirklich was ergeben [hat], was eine enzyklopädische Relevanz rechtfertigen würde." Die Unternehmerin dokumentierte darüber hinaus noch weitere Fälle, wo Frauen ähnliche Erfahrungen mit ihren Biografien machen mussten.
Gravierender Männerüberhang
2020 lag der Anteil von Biografien über Frauen bei nur 16 Prozent - von insgesamt über 800.000 Biografien in der deutschsprachigen Wikipedia. Nach internen Befragungen schreiben bei Wikipedia wohl zu etwa 90 Prozent Männer. Der Großteil von ihnen stammt aus Europa oder den USA. In Wikipedia-Artikeln wird außerdem verpflichtend das generische Maskulinum benutzt.
Angst und Verschleierung von Autorenschaft
Weibliche Autorinnen geben in ihren Autoren-Profilen teilweise an männlich zu sein oder aber sie geben gar kein Geschlecht an - um Diskriminierung und Beleidigungen vorzubeugen. Das gilt auch für die Namen, unter denen sie Artikel schreiben.
Weitere Kritikpunkte an Wikipedia
Zweifelhafte Quellenlage: Normalerweise sollen Informationen durch Einzelnachweise belegt werden. Zudem werde auch nicht immer zwischen "Meinung", "wahr" und "falsch" unterschieden.
Inhaltliche Einflussnahme: Ob PR-Schummeleien oder Schleichwerbung - durch die freie Struktur von Wikipedia kann der Einfluss auf Artikel nicht ausgeschlossen werden. Auch absichtliche Verfälschungen können vorkommen.
Strikte Relevanzkriterien: In der deutschsprachigen Wikipedia werden Artikel zum Teil so schnell gelöscht, dass gar keine Möglichkeit mehr gab, sie inhaltlich noch auszubessern. Das führt zu einem zu großem Frust bei den Autor:innen, deren Artikel gelöscht werden und letztendlich auch dazu, dass immer mehr Autor:innen das Projekt verlassen. Auch erschwert es weiblichen Autorinnen, spezifisch weibliche Themen überhaupt unterbringen zu können.
Unausgewogenheit: Wikipedia zeichne ein sehr traditionelles und vor allem männlich geprägtes Geschichtsbild aus, so die Historikerin Maren Lorenz.
Wie oft nutzt du Wikipedia?
Nächstes Ziel: mehr Autorinnen
Bis heute stammt die überwiegende Mehrheit der Wikipedia-Artikel von Männern: Ungefähr auf neun Autoren kommt nur eine Autorin.
Die ehemalige Geschäftsführerin der Wikimedia-Foundation Sue Gardner sieht dafür eine Vielzahl an möglichen Gründen.
In Kommentaren beschweren sich Wikipedianerinnen demnach zum Beispiel über den ruppigen, teilweise sogar diskriminierenden Ton vor allem gegenüber Neu-Einsteigern. Andere wiederum kritisieren sogenannte "Edit-Wars", in denen sich Autoren ihre Bearbeitungen gegenseitig zurücksetzen.
Projekte wie "Women in Red" (WiR) kämpfen gegen die Gender-Gap in der Wikipedia. Sie setzen sich für mehr Artikel von und über Frauen ein. Wenn du dich für Wikipedia engagieren willst, kannst du Mitglied werden und Geld spenden.
Wiki-kurios: Klagen, Proteste, Fehler
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Willst du noch mehr zur Einordnung von Wikipedia erfahren?
Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier "Wikipedia"
Gredel, E. et al. (2018): Linguistische Wikipedistik
Storrer, A. (2018): Web 2.0: Das Beispiel Wikipedia
Vater, C. (2019): Die Wikipedia und das Software-Dispositiv
Häufige Fragen zu Wikipedia
Es wird unter anderem kritisiert, dass Wikipedia eine verzerrte Sichtweise produzieren würde. Außerdem würden interne Strukturen und Dynamiken die Ziele von Wikipedia beeinträchtigen.
Wikipedia kontrolliert sich selber. Das bedeutet, Inhalte werden von jedem geprüft von kontrolliert. Das gilt für normale Nutzer:innen, aber auch Wikipedia-Autor:innen.
Sowohl Autor:innenschwund, wie auch der Gender Gap zählen zu den Kernproblemen von Wikipedia. Die Zahl weiblicher Autorinnen liegt nach Schätzungen bei nur etwa neun Prozent.
Wikipedia hatte immer wieder Probleme mit PR-Schummeleien und Schleichwerbung. Das liegt unter anderem auch daran, das im Grunde jeder die Inhalte beeinflussen kann.
Immer wieder werden in verschiedenen Wikipedia-Artikeln, oft auch im Kontext zu historischen Ereignissen, Verzerrungen festgestellt.