Chile
Colonia Dignidad: So kam eine deutsche Terror-Sekte nach Chile
- Veröffentlicht: 12.07.2024
- 15:36 Uhr
- Claudia Frickel
Folter, sexueller Missbrauch, totalitäre Unterdrückung: Colonia Dignidad war eine christliche deutsche Sektengemeinschaft in Chile. Dort spielten sich viele Jahre lang grausame Szenen ab. Die packende Thriller-Serie "Dignity" auf Joyn erzählt die Geschichte eines Anwalts, der die Machenschaften der Sekte aufdecken will.
Colonia Dignidad: Das Wichtigste in Kürze
In einer "Kolonie der Würde" lebte eine deutsche, christliche Sekte im Süden Chiles nach außen hin. Daher kommt ihr Name "Colonia Dignidad".
In Wahrheit hausten sie aber unter einem brutalen Überwachungs- und Folterregime, das 45 Jahre andauerte.
Sektengründer Paul Schäfer war ein evangelischer Laienprediger aus Nordrhein-Westfalen, der 1961 vor den Behörden nach Südamerika floh.
Hunderte Anhänger:innen folgten und lebten unter seiner Herrschaft abgeschottet von der Außenwelt.
Die bis zu 350 Bewohner:innen wurden psychisch und physisch unterdrückt. Der Sektenführer missbrauchte und folterte außerdem jahrzehntelang Jungen aus der eigenen Kolonie sowie der Umgebung.
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Paul Schäfer: Der Sektenchef von Colonia Dignidad
Paul Schäfer, 1921 in Bonn geboren, war nach dem Zweiten Weltkrieg als Jugendbetreuer in katholischen und evangelischen Einrichtungen tätig. Schon damals fiel er wegen sadistischer Neigungen und sexuellen Missbrauchs auf. Er wurde zwar aus kirchlichen Diensten entlassen, zu Anzeigen kam es aber nicht.
In den 50er-Jahren gründete Schäfer mit dem Prediger Hugo Baar eine Sekte, die sich zu einem endzeitlichen Christentum bekannte. Sie sprachen von furchtbaren Katastrophen, vor denen die Gläubigen nur in der Gruppe sicher sein.
Dazu sollte eine urchristliche Lebensweise gehören, bei der alles der Gemeinschaft gehörte. Nach und nach nahmen sie den Mitgliedern alles ab - Vermögen, Lebens-Versicherungen und Renten-Ansprüche.
1961 ermittelte die Staatsanwaltschaft, weil Schäfer zwei Jungen vergewaltigt haben sollte. Mit einer Handvoll Anhänger:innen floh er im selben Jahr nach Chile. Sie siedelten sich 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile an. Den dortigen Behörden gaukelte er vor, dass sich die Kolonie um chilenische Waisenkinder kümmern wolle.
Schäfer hatte intensive Kontakte zu rechtsextremen Gruppen im Land. Er schmuggelte Waffen aus Deutschland nach Chile, darunter Maschinengewehre: Container seiner gemeinnützigen Gruppierung wurden nicht vom Zoll kontrolliert. Mit den Gewehren unterstützte er 1973 den Militärputsch und die Machtergreifung des Diktators Augusto Pinochet.
Diese Gefahr geht von Sekten aus
Das Terrorregime der Colonia Dignidad
🗨 Die von der Außenwelt abgeschottete Wohnanlage hieß offiziell "Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad", also Wohltätigkeits- und Bildungsgemeinschaft Würde - abgekürzt Colonia Dignidad.
🚫 Anhänger:innen mussten sich komplett unterwerfen, von ihren Familien lossagen und auf Sex verzichten. Frauen, Männer und Kinder mussten getrennt leben. Private Gespräche waren streng verboten. Die Kolonie entwickelte sich zu einer Festung mit Wachtürmen und bewaffneten Wachposten. Es gab sogar ein unterirdisches, geheimes Waffenlager.
👨🌾 Die Sekten-Mitglieder mussten 16 Stunden pro Tag unbezahlte Zwangsarbeit leisten - vor allem auf dem Bauernhof des Guts. Zudem wurden sie gezwungen, Brücken und Straßen zu bauen sowie Bergwerke anzulegen, um Gold, Uran und Titan zu fördern.
🔌 Schäfer missbrauchte und vergewaltigte Kinder, ausschließlich Jungen. Viele wurden gefoltert, unter anderem mit Elektroschocks. Schäfer verhängte drastische Strafen, wenn jemand seinen Befehlen nicht folgte.
🪦 Auf dem rund 140 Quadratkilometer großen Gelände konnte der Geheimdienst des chilenischen Diktators einen eigenen Bereich nutzen, in dem er politische Gegner:innen folterte und ermordete. Einige mussten ebenfalls Zwangsarbeit leisten. Mindestens 22 Menschen wurden getötet.
🚑 Nach außen hin präsentierte sich die Kolonie als mustergültig. Im Krankenhaus wurde die lokale Bevölkerung kostenlos behandelt. Jungen konnten in einem Internat leben und eine Ausbildung machen. Die Behörden nahmen Klagen über Missbrauch und Misshandlungen nicht erst.
🤝 Mehrere rechtskonservative deutsche Politiker hatten gute Beziehungen zur Colonia Dignidad und kamen sogar zu Besuch. Darunter war angeblich 1977 Franz Josef Strauß (CSU), der später Ministerpräsident von Bayern wurde. Der Deutsche Botschafter in Chile half entkommenen Sekten-Mitgliedern lange Zeit nicht - er pflegte ebenfalls freundschaftliche Kontakte mit Paul Schäfer.
Das Ende von Colonia Dignidad
📆 Ende der 80er-Jahre häuften sich Berichte von missbrauchten Kindern, einigen Sektenangehörigen war außerdem die Flucht gelungen. Pinochets Diktatur endete 1990. Das alles läutete das Ende der Colonia Dignidad ein.
👮 Die chilenischen Behörden ermitteln gegen Schäfer, doch der konnte im Mai 1997 entkommen.
⚖ Im März 2005 entdeckten Ermittler:innen den Sektenführer in einer abgeschotteten Siedlung in der Nähe von Buenos Aires in Argentinien. Er wurde wegen sexuellen Missbrauchs von 27 Kindern zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im April 2010 starb Schäfer mit 88 Jahren in einem Krankenhaus in Santiago de Chile an Herzversagen.
Das Sektengelände heute
🗨 1988 benannte sich die Colonia Dignidad um, seitdem heißt das Gelände Villa Baviera, also Dorf Bayern. Nach Schäfers Untertauchen öffnete sich die Sekte nach und nach der Außenwelt.
🥨 Heute leben noch knapp 140 Mitglieder der früheren Colonia Dignidad auf dem Gelände, in Wohnungen und nicht mehr in Schlafsälen. Seit 2012 gibt es ein Hotel und ein Restaurant auf dem Gelände - mit bayerischem Essen und Folklore, zum Beispiel Tänzen und Musik.
💰 Die ehemalige Colonia Dignidad soll immer noch ein großes Vermögen besitzen, verdient durch die Zwangsarbeit der Gläubigen. Es gehört heute wenigen Angehörigen der Sekte.