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Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg

Wo noch Bomben in Deutschland liegen und wie sie entschärft werden

  • Veröffentlicht: 09.02.2024
  • 11:00 Uhr
  • Christian Stüwe
Article Image Media
© IMAGO / Michael Westermann

Fast 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs liegen in Deutschland immer noch 100.000 Tonnen nicht explodierte Kampfmittel im Boden. Wir sagen dir, was du tun musst, wenn du einen Blindgänger findest und warum es überhaupt noch so viele Bomben rumliegen.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges werden in Deutschland immer noch Fliegerbomben, Luftminen und Granaten entdeckt. Man nennt diese Kampfmittel-Altlasten auch Blindgänger.

  • Insgesamt wurden rund 1,4 Millionen Tonnen Bomben über Deutschland abgeworfen. Das entspricht dem Gewicht von mehr als einer Million VW Golfs

  • Betroffen sind vor allem Städte und Ballungsräume, die im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten bombardiert wurden. Oft werden Blindgänger bei Bauarbeiten oder landwirtschaftlichen Arbeiten entdeckt, teilweise wird auch gezielt nach ihnen gesucht.

Der Alltag eines Sprengmeisters in Deutschland

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Warum liegen immer noch Weltkriegs-Bomben in Deutschland?

Ab dem Frühjahr 1942 setzten die alliierten Luftstreitkräfte die umstrittene Taktik der Flächen-Bombardierung ein, die zahlreichen nicht detonierten Kampfmittel unter den deutschen Städten sind die Folge davon. Vor allem die britische Royal Air Force warf unter dem Befehl von Luftmarschall Arthur "Bomber" Harris in großer Zahl Luftminen, Spreng- und Brandbomben über zivilen Zielen ab, um die Bevölkerung zu demoralisieren und Nazi-Deutschland in die Knie zu zwingen.

Dabei explodierten schätzungsweise fünf bis 20 Prozent dieser abgeworfenen Bomben nicht meistens wegen fehlerhaften Zündern. Technische Fehler bei der Produktion oder Scharfstellung, falsche Aufschlagwinkel oder ein zu weicher Aufschlag verhinderten, dass eine Bombe mit mechanischem Aufschlagzünder wie geplant explodierte.

Noch tückischer als mechanische Aufschlagzünder sind Bomben mit chemisch-mechanischen Langzeitzündern, wie das Beispiel der Schwabinger Fliegerbombe weiter unten zeigt. Diese sollten eigentlich mit einer Verzögerung von bis zu sechs Tagen nach dem Abwurf zünden, um die Aufräum-Arbeiten zu sabotieren und die Menschen unvorbereitet zu treffen. Es gab aber eine Vielzahl von Gründen, warum der mit Aceton arbeitende Auslösemechanismus unterbrochen werden konnte - und genauso plötzlich wieder anlaufen konnte.

Bis heute geht von diesen Bomben eine große Gefahr aus. Wird eine Fliegerbombe mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder gefunden, darf sie keinesfalls in ihrer Lage verändert werden. Generell sind die Blindgänger auch nach Jahrzehnten im Erdreich keinesfalls harmloser geworden. Die Metalle und die Sprengstoffe verändern sich mit der Zeit, was die Bomben schwer berechenbar macht. Tatsächlich kommt es in Deutschland pro Jahr im Schnitt zu ein bis zwei Selbstdetonationen kleinerer oder größerer Blindgänger.

100 Sekunden: Fliegerbomben

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Wo liegen Weltkriegsbomben in Deutschland?

Insgesamt wurden rund 1.000 strategische Ziele in Deutschland bombardiert. Neben Industriestandorten und militärischen Zielen wählten die Alliierten im Verlauf des Krieges vermehrt auch zivile Ziele aus, was zu verheerenden Schäden in den deutschen Städten führte. Bochum wurde zu 83 Prozent zerstört, Mainz zu 80 Prozent, Hamburg zu 75 Prozent. 

Auch Städte wie Köln (61 Prozent), Dresden (59 Prozent) Frankfurt am Main (52 Prozent), München (42 Prozent) und Berlin (33 Prozent) wurden durch die Bombardierungen schwer beschädigt. Besonders heftig wurde das gesamte Ruhrgebiet angegriffen, da es durch die ansässige Industrie als "Waffenschmiede des Reiches" galt. Gleichzeitig lebten in dem Ballungsgebiet viele Menschen, die ebenfalls zu Zielen der Bombardierungen wurden.

Insgesamt warfen die Briten rund 650.000 Tonnen Kampfmittel über Nordrhein-Westfalen ab, was fast die Hälfe der abgeworfenen Bomben auf Deutschland ausmacht. Dementsprechend liegt auch ein Großteil der Blindgänger in NRW, allein im Jahr 2019 wurden dort durch die Kampfmittelbeseitigung 2.160 Bomben geräumt und unschädlich gemacht. Im Stadtgebiet Berlins liegen schätzungsweise noch mehr als 4.000 Blindgänger. Insgesamt werden in Deutschland rund 5.000 Bomben im Jahr entschärft.

Blindgänger-Entschärfung in Schwabing, München

Am 27. August 2012 wurde in München in der Feilitzschstraße im Stadtteil Schwabing bei Bauarbeiten eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Wie ernst die Lage war, wurde nach einer ersten Begutachtung durch die Experten des Kampfmittelräumdienstes deutlich.

Die Bombe war mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder versehen, der mit herkömmlichen Methoden nicht zu entschärfen war und vor Ort gesprengt werden musste. Da die Bombe jederzeit hätte explodieren können, wurden zunächst die Anwohner:innen im Umkreis von 300 Meter um die Fundstelle evakuiert.

Die geplante Sprengung fand am Tag darauf statt, nun mussten Menschen im Umkreis von 1.000 Metern ihre Wohnungen verlassen. Die Bombe wurde mit 100 Tonnen Sand, Strohballen und Sandsäcken bedeckt, um die Druckwelle abzumildern. Trotzdem war der durch die Sprengung verursachte Schaden gewaltig.

Mehrere Häuser in der Umgebung fingen Feuer, im Umkreis von 300 Metern wurden Gebäude beschädigt, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Splitter der Bombe flogen in die umliegenden Wohnungen, der Knall der Explosion war kilometerweit zu hören. Verletzt wurde niemand.

Die kontrollierte Sprengung der Schwabinger Fliegerbombe 2012 sorgte für einen großen Krater und beschädigte Gebäude im Umkreis.
Die kontrollierte Sprengung der Schwabinger Fliegerbombe 2012 sorgte für einen großen Krater und beschädigte Gebäude im Umkreis.© Picture Alliance / Sueddeutsche Zeitung Photo | Haas, Robert

Die Bombensprengung in Schwabing war eine der spektakulärsten der vergangenen Jahre, aber bei weitem kein Einzelfall. Nach wie vor liegen vor allem in den großen Städten und Ballungsgebieten nicht explodierte Fliegerbomben im Boden. Eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2022 geht immer noch von 100.000 bis 300.000 Tonnen unentdeckter Blindgänger im Erdreich aus.

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Warum werden Blindgänger gerade jetzt zu einer echten Gefahr?

Wie werden die Bomben gefunden?

An den Orten, die besonders stark bombardiert wurden, liegen natürlich auch die meisten Blindgänger im Boden. Die Intensität der Bombardierung gibt also einen ersten Hinweis darauf, wo Blindgänger zu finden sein könnten. Weitere Hinweise geben Luftbilder. Die Alliierten dokumentierten ihre Luftangriffe sehr genau, teilweise wurden die Zielgebiete schon vorab fotografiert. Nach den Bombenangriffen wurden dann erneut Luftaufnahmen angefertigt, um zu schauen, wie effektiv die Angriffe waren.

Die einzelnen Bundesländer, die für die Beseitigung der Kampfmittel zuständig sind, kauften hunderttausende dieser Luftaufnahmen aus britischen und amerikanischen Beständen. Expertinnen und Experten der Kriegsluftbildauswertung werten diese aus und suchen so nach Blindgängern. Wird zum Beispiel ein neues Baugebiet in einem bombardierten Gebiet eröffnet, untersuchen die Expertinnen und Experten die Luftbilder nach auffällig kleinen Kratern ab, durch die eine Bombe in die Erde eingedrungen sein könnte.

Trotz dieser Maßnahme gibt es natürlich auch viele Zufallsfunde. Nach dem Ende des Krieges wurden Häuser auf den Trümmern teilweise wieder schnell aufgebaut, ohne dabei auf Blindgänger zu achten. Werden diese alten Häuser nun abgerissen, stoßen die Bauarbeiter:innen immer wieder auf Blindgänger. Auch Landwirtinnen und Landwirte finden beim Pflügen ihrer Felder nach wie vor nicht explodierte Kampfmittel.

Besteht ein Anfangsverdacht, können geophysikalische Methoden, wie zum Beispiel die Messung des Erdmagnetfeldes, zum Einsatz kommen. Ein Gerät wird über die entsprechende Stelle gezogen, wird eine Störung des Erdmagnetfeldes gemessen, kann dies auf einen größeren Blindgänger hindeuten. Auch Bodenradar-Geräte kommen zum Einsatz, um Bomben zu finden und sie beispielsweise von großen Steinen oder ungefährlichem Metallschrott zu unterscheiden.

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Was sollte man tun, wenn man einen Blindgänger findet?

Zunächst mal ist es wichtig festzuhalten, dass es sich Blindgängern nicht nur um die großen Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg handelt. Denn auch jegliche nicht gezündete Munition deutscher und alliierter Bodentruppen wie Granaten, Handgranaten, Patronen und Minen zählen zu den Kampfmittelaltlasten und können ebenfalls noch Jahrzehnte später gefährlich werden. Gefunden werden können sie überall, wo gekämpft wurde, auch abseits der Orte, die im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurden. Außerdem müssen Blindgänger nicht immer aus dem Krieg stammen. Beispielsweise sind auch ehemalige Truppenübungsplätze oft durch nicht explodierte Munition kontaminiert.

Die wichtigste Regel ist: Auf keinen Fall anfassen! Solltest du versehentlich einen kleineren Blindgänger aufgehoben haben, lege ihn sehr vorsichtig ab. Erschütterungen sollten unbedingt vermieden werden!

Danach solltest du unbedingt Abstand zur Fundstelle halten und sich annähernde Personen warnen.

Im nächsten Schritt musst du die Polizei unter der Nummer 110 verständigen und mitteilen, wo du den Blindgänger gefunden hat. Wer den Fund eines Kampfmittels nicht meldet, macht sich strafbar und bringt andere Menschen in Gefahr!

Wenn die Polizei eingetroffen ist, zeige den Beamtinnen und Beamten die Fundstelle und leiste den Anweisungen Folge. Die Polizei wird falls nötig den Kampfmittelräumdienst verständigen und alle weiteren Schritte einleiten.

Die beiden ausgebauten Zünder eine 500 Kilogramm schweren amerikanischen Fliegerbombe, die 2023 bei Baggerarbeiten im Rhein gefunden wurde.
Die beiden ausgebauten Zünder eine 500 Kilogramm schweren amerikanischen Fliegerbombe, die 2023 bei Baggerarbeiten im Rhein gefunden wurde.© Picture Alliance/dpa | Thomas Frey

Wie werden die Weltkriegsbomben entschärft?

Eine Bombe wird entschärft, indem der Zünder ausgebaut und somit die Zündkette unterbrochen wird. Ohne Zünder kann die Bombe nicht explodieren. Ob der Zünder ausgebaut werden kann, hängt jedoch von vielen verschiedenen Faktoren ab. Zunächst natürlich von der Art der Bombe und des Zünders. Der Zünder muss in einem guten Zustand und gut erreichbar sein, weshalb auch die Lage des Blindgängers eine entscheidende Rolle spielt.

Klar ist, dass die Bombe entweder vor Ort entschärft oder gesprengt werden muss. Ein Transport einer scharfen Bombe ist zu gefährlich. Bei bestimmten Typen von Blindgängern lässt sich der Zünder mit einer speziellen Zange herausziehen oder herausschneiden. Bei komplizierten Fällen wird häufig auf ferngesteuerte Technik gesetzt, mit dem Wasserschneidgerät können Zünder aus großer Entfernung herausgeschnitten werden. Ist ein intakter Zünder ausgebaut, wird er häufig direkt vor Ort gesprengt. Die Bombe kann nun abtransportiert und die Sprengstoffe sachgerecht entsorgt werden.

Ist eine Entschärfung beispielsweise aufgrund eines intakten chemisch-mechanischen Zünders nicht möglich, hilft nur eine kontrollierte Sprengung wie bei der Schwabinger Fliegerbombe. Ein Restrisiko bleibt allerdings trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Seit Beginn des Jahrtausends verunglückten elf Kampfmittelräumer bei der Entschärfung von Blindgängern tödlich, weitere wurden teils schwer verletzt.

Häufige Fragen zu Fliegerbomben und Blindgänger

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