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Experteninterview

"Es kann einen Flächenbrand geben": Sahel-Experte zur angespannten Situation im Niger

  • Veröffentlicht: 08.08.2023
  • 16:10 Uhr
  • Teresa Gunsch

Nach dem Militärputsch im Niger spitzt sich die Lage weiter zu. Wie könnte sich die Situation entwickeln und welche Rolle spielt Russland dabei? Ein Interview mit dem Sahel-Experten Ulf Laessing.

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Ulf Laessing ist Leiter des Regionalprogramms Sahel in Mali und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im exklusiven Interview mit :newstime klärt der Sahel-Experte über die zerfahrene Lage im Niger auf. Droht jetzt ein Krieg in dem westafrikanischen Land? Und was bedeutet das für Deutschland und die EU, welche Rolle spielt Russland?

Niger war in der westafrikanischen Sahelzone der letzte demokratische Staat. Mit der Machtübernahme durch das Militär am 26. Juli 2023 geht dem Westen nun möglicherweise ein geostrategischer und wirtschaftlicher Partner verloren. Die seit dem Putsch regierende Militärjunta hat den Luftraum geschlossen. Die neuen Machthaber im Niger wollen auf diese Weise Angriffe des westafrikanischen Staatenbündnisses Ecowas verhindern.

Die Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas hatte mit Gewalt gedroht, sollte Staatspräsident Mohamed Bazoum nicht wiedereingesetzt und die verfassungsmäßige Ordnung hergestellt werden. Es besteht nun die Möglichkeit, dass die Ecowas-Staaten militärisch eingreifen.

Droht ein Militärschlag der Ecowas-Staaten?

Ecowas hat bereits angedroht, den gestürzten Präsidenten Bazoum mit militärischer Gewalt zurück an die Macht zu bringen. Sahel-Experte Ulf Laessing beurteilt dieses Szenario jedoch skeptisch: "Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Das Risiko eines Bürgerkriegs ist zu hoch."

Er betont besonders, dass sich der Niger nur schwer stabilisieren ließe, falls es zu militärischen Interventionen durch die Ecowas käme. Es sei fraglich, ob der gestürzte Präsident noch Unterstützer:innen habe. "Wenn es zum Militärschlag kommt, hätte man konkurrierende Armee-Einheiten, die sich gegenseitig bekämpfen wie im Sudan. Das kann die ganze Region destabilisieren." 

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Chance für eine diplomatische Lösung?

Laessing hofft auf eine Einigung abseits des Militärschlags. "Vielleicht kann man auf die Putschisten einwirken, dass sie relativ schnell eine zivile Übergangsregierung ernennen", sagte er. Diese sollte dann innerhalb einiger Monate Wahlen organisieren.  

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Rolle Russlands und Frankreichs in der Krise

Bei der Frage nach dem Einfluss von Russland im Niger äußert Laessing sich vorsichtig: "Ich glaube nicht, dass Russland direkt an dem Putsch beteiligt ist, aber sie sehen jetzt eine Chance. Man sieht, seit dem Putsch laufen die Desinformationskampagnen auf Hochtouren." Erst soll der gestürzte Präsident als Agent Frankreichs diffamiert worden sein, nun würden die Putschisten sehr viel unterstützt, russische Fahnen sollen verteilt worden sein. "Russland sieht eine Chance, da auch seinen Einfluss auszuweiten", so der Experte.

Auch der Einfluss Frankreichs im Niger ist laut Laessing enorm: "Niger war einer der Hauptverbündeten Frankreichs. Und das ist auch das Problem für den gestürzten Präsidenten gewesen, dass er von seiner Bevölkerung als zu nah an der ehemaligen Kolonialmacht dran war." Im Land sollen sich viele gegen die Stationierung französischer Truppen gewandt haben. Derzeit gebe es mehr als 1.500 französische Soldaten im Niger.

Folgen für Deutschland und die Menschen im Niger

Doch was kommt auf andere Länder zu, wenn der Niger jetzt "kippt"? "Für Deutschland heißt es einmal, dass der Abzug der Bundeswehr aus Nordmali schwieriger wird. Man ist jetzt abhängig von den Putschisten, brauchen Fluggenehmigungen über Niamey zu fliegen. Und noch wichtiger, es könnte viel mehr Migration kommen, weil Niger hat bislang diese Libyen-Route, die durch Niger geht, geschlossen gehalten. Das könnte auch ein Druckmittel der Putschisten sein." Bei einem Angriff könne die Route wieder geöffnet werden und somit zu mehr Migration nach Nordafrika und Europa führen.

Die Folgen für die Menschen im Niger wären laut Laessing verheerend: "Wenn ein Krieg ausbricht, bedeutet das noch viel mehr Armut. Niger ist jetzt schon eines der ärmsten Länder, am untersten Ende aller Skalen, die Entwicklung messen." Auch hätte ein Krieg Auswirkungen auf die Migration: "Es wird viel mehr Migration geben. Nigrer werden das eigene Land verlassen, in Küstenstaaten gehen, vielleicht nach Nordafrika. Auch deswegen, weil die EU und Deutschland jetzt erstmal die Entwicklungszusammenarbeit gestoppt haben."

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Insgesamt instabile Region

Angesprochen auf die Stabilität der gesamten Region sieht Laessing ein hohes Risiko: "Es ist ein Pulverfass. Deswegen sollte man möglichst einen Militärschlag verhindern. Es kann ganz schnell alles zusammenbrechen. Der Nachbarstaat Nigers, Tschad, sieht auch sehr fragil aus. Daneben liegt Sudan, da haben wir schon Krieg. Mali, Burkina Faso, da sind Putschisten an der Macht, die sich mit Russland verbündet haben. Also es kann einen Flächenbrand geben, wenn da jetzt ein Krieg ausbricht."

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