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Auftragskiller ausländischer Staaten

Kann ein Attentat wie der "Tiergartenmord" wieder geschehen?

  • Veröffentlicht: 23.08.2024
  • 17:59 Uhr
  • Michael Reimers
Archivaufnahme, 15. Dezember 2021, Berlin: Die Beteiligten im "Tiergartenmord"-Prozess am Tag der Urteilsverkündung im Gerichtssaal
Archivaufnahme, 15. Dezember 2021, Berlin: Die Beteiligten im "Tiergartenmord"-Prozess am Tag der Urteilsverkündung im Gerichtssaal© Christophe Gateau/dpa

Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs kam kürzlich der russische Auftragsmörder Vadim Krassikow frei, der 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin mitten am Tag einen Georgier erschossen hatte. Können sich solche Attentate ausländischer Straftäter:innen in Deutschland wiederholen?

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Das Wichtigste in Kürze

  • Vor fünf Jahren wurde in Deutschland von einem Russen ein Mord an einem tschetschenisch-stämmigen Georgier verübt.

  • Der Mörder wurde gefasst und wegen der Schwere der Schuld zu lebenslanger Haft verurteilt.

  • Die Bundesstaatsanwaltschaft sah es als erweisen an, dass der Mörder im Auftrag staatlicher Stellen Russlands gehandelt hat. Der Richter sprach von "Staatsterrorismus".

Anlässlich des fünften Jahrestags des "Tiergartenmords" stellt ein Bericht auf tagesschau.de die Frage, ob so ein Attentat in Deutschland wieder geschehen kann. Bis heute rechtfertige Russlands Präsident Wladimir Putin diesen "Dienst" - den Mord am tschetschenisch-stämmigen Georgier Selimchan Changoschwili vor fünf Jahren - als Hinrichtung eines "Banditen" und "Terroristen".

Dem Bericht zufolge bestätigte Putins Sprecher Dmitri Peskow, dass der verurteilte Mörder einer Spezialeinheit des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB angehörte und in der Tat Vadim Krassikow heißt. Damit habe er die Behörden und den Botschafter Russlands in Berlin bloßgestellt, die beharrlich von einem angeblichen Touristen namens Vadim Sokolow gesprochen hatten.

Im Video: Trump gratuliert Putin zu "großartigem" Gefangenen-Deal

Dies bestätige im Nachhinein den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, den sie im Plädoyer im "Tiergartenmord"-Prozess gegen die russische Führung erhoben hatte: eine "radikale Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien". Die russischen Behörden hätten weder ein Auslieferungsersuchen mit Belegen über die dem Opfer Changoschwili unterstellten Taten geliefert, noch mit den deutschen Ermittler:innen bei der Aufklärung des "Tiergartenmords" kooperiert.

Stattdessen sei nach Einschätzung der Bundesstaatsanwaltschaft durch den Auftragsmord im Kleinen Tiergarten in Berlin die Souveränität und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik infrage gestellt worden. Der Mord am helllichten Tag habe das Sicherheits- und Gerechtigkeitsgefühl der Menschen in Deutschland erschüttert.

Auftragsmord Putins mitten am Tag in Berlin

Dass Putin die Verunsicherung der Bevölkerung nicht nur in Kauf genommen, sondern durchaus beabsichtigt haben könnte, dafür sprechen dem Bericht zufolge russische Desinformationskampagnen mit diesem Ziel. Seit dem Beginn der Großoffensive gegen die Ukraine häuften sich Vorfälle, die mit den russischen Geheimdiensten in Verbindung gebracht werden: Als Beispiele werden die Festnahme zweier Deutschrussen wegen mutmaßlicher Sabotagepläne und das Ausspähen des Rheinmetall-Chefs Armin Papperger angeführt.

Wie gut Behörden und Ermittler:innen gewappnet sind, beginnt laut tagesschau.de mit der Visavergabe. Krassikow und ein Komplize hätten trotz sehr ähnlicher falscher Angaben und mit Pässen ohne biometrische Daten Touristenvisa beim französischen Konsulat in St. Petersburg erhalten. Recherchen zufolge sei der Komplize vor der Tat über Polen nach Deutschland ein und aus gefahren, Krassikow hingegen am Pariser Flughafen Charles de Gaulle in den Schengen-Raum eingereist.

Während Frankreichs Außenministerium eine Anfrage dazu nicht beantwortet habe, teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit: "Da alle seit 2006 ausgestellten russischen Pässe biometrisch sind, ist die Erteilung von Visa bei Vorlage eines nicht biometrischen russischen Passes ausgeschlossen."

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Risiko Visavergabe durch Ortskräfte

Für den Bericht befragte Sicherheitsexperten sehen als Möglichkeit dafür, dass dies doch passieren konnte, eine Überlastung derjenigen, die Visaanträge und Pässe überprüfen - insbesondere in Stoßzeiten während der Ferienmonate. So verwies Ex-BND-Agent Gerhard Conrad auf ein Risiko beim Einsatz von Ortskräften bei der Bearbeitung von Visaanträgen. Als Mindestmaßnahme müsse sichergestellt werden, dass aus Deutschland entsandtes Personal die Dienst- und Fachaufsicht der Ortskräfte gewährleisten könne. "Nur so lässt sich das Risiko der Kollusion mit örtlichen kriminellen oder eben auch nachrichtendienstlichen Strukturen einigermaßen reduzieren."

Dabei handele es sich um eine Frage nach Kosten und Kapazitäten: Das Auswärtige Amt betreibt weltweit 154 Botschaften und 57 Konsulate mit 5.380 Beschäftigten fremder Staatsangehörigkeit oder deutscher Staatsangehörigkeit mit festem Wohnsitz im jeweiligen Land.

Im Video: Nach Gefangenenaustausch - Putin umarmt "Tiergarten-Mörder"

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Hybride Kriegsführung Russlands

Zwar sei die Sensibilität bei dieser Thematik seit 2022 gestiegen und die Zahl der vergebenen Schengen-Visa gesunken: Dem Bericht nach stellte im Jahr 2019 Deutschland 325.840 russischen und 35.205 belarussischen Staatsangehörigen Schengen-Visa aus. Im Jahr 2023 waren es noch 15.221 für russische und 51.872 für belarussische Staatsangehörige. Hinzu seien jeweils nationale Visa für Deutschland (D-Visum) gekommen, deren Zahl nicht so deutlich abnahm: 2019 waren es demnach im Falle Russlands fast 15.000 und 2023 fast 11.000. Bei Belarus sei die Zahl sogar von 1.612 im Jahr 2019 auf 2.173 im Jahr 2023 gestiegen.

Roderich Kiesewetter, CDU-Außenpolitiker und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste (PKGr), warnte im Tagesschau-Interview: "2022 wurden um die 400 russische Agenten aus ganz Europa ausgewiesen. Viele sind jedoch als Diplomaten getarnt oder mit Touristen-Visa weiterhin in europäischen Städten unterwegs, um Informationen durch Spionage abzugreifen und mit Desinformation und Sabotage den Zusammenhalt der EU und NATO zu zerstören und die Unterstützung der Ukraine zu sabotieren, oder eben gezielte Morde durchzuführen."

Schengen-Visa gänzlich unterbinden?

Eine Möglichkeit, diese hybride Kriegsführung zumindest einzudämmen, sei es, weitere russische Diplomat:innen auszuweisen und die Vergabe von Schengen-Visa gänzlich zu unterbinden, "so wie dies andere EU-Staaten wie die baltischen Staaten und Polen handhaben. Zusätzlich sollte es weitere Einschränkungen und verstärkte Prüfungen auch beim D-Visum geben." Schärfere Sicherheitsüberprüfungen hatten auch Bundestagsabgeordnete der Regierungskoalition gefordert, als das Ausspähen von Rheinmetallchef Papperger bekannt wurde.

PKGr-Mitglied Kiesewetter verweist im Bericht darauf, dass Russland Kriminelle anheuert, weshalb die Nachrichtendienste, Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitsbehörden gestärkt werden müssten, "um Lücken zu schließen und für neue Methoden gewappnet zu sein".

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Attentate nur mit viel Aufwand zu verhindern

Grundsätzlich gelte, dass sich ein politischer Mord bei professioneller Vorbereitung ebenso wenig wie ein Mord im kriminellen Milieu verhindern lasse, sagte der pensionierte BND-Mitarbeiter Conrad tagesschau.de. Es sei denn, der ausführende Geheimdienst wäre nachrichtendienstlich durch Quellen im Inneren oder durch technische Sensoren ausreichend durchdrungen. Das sei im Einzelfall "bei entsprechendem Mitteleinsatz, ausreichender operativer und politischer Risikobereitschaft und dem nötigen Glück des Tüchtigen möglich".

Ansonsten müsse versucht werden, "ein ganzes Netz an nahezu lückenloser Beobachtung über potenzielle Anschlagsopfer oder -objekte zu spannen", so Conrad. "Das hört sich nicht nur mehr als ambitioniert an, das ist es auch."

Weiterhin könne es eine weitreichende Überwachung des öffentlichen Raums und Metadatenspeicherung elektronischer Kommunikationsmittel geben. Dies würde jedoch auf Kosten der Wahrung von Persönlichkeitsrechten und einer liberalen Demokratie gehen.

  • Verwendete Quellen:
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