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Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Unternehmen müssen Arbeitszeit der Mitarbeiter erfassen

  • Veröffentlicht: 13.09.2022
  • 18:45 Uhr
  • dpa
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© picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Das Bundesarbeitsgericht urteilt, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit der Mitarbeiter erfassen müssen. Das könnte das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeuten.

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Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Bundesarbeitsgericht urteilt, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit der Mitarbeiter erfassen müssen.
  • Die Richter kamen damit Politik und Wirtschaft zuvor, die noch über eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes diskutieren.
  • Für viele Arbeitnehmer könnte das Urteil einschneidende Folgen haben.

In Deutschland besteht nach einem Urteil die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Die Entscheidung, die der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing einen "Paukenschlag" nannte, könnte eine Art digitale Stechuhr in Konzernen, Büros und Verwaltungen wiederbeleben. Mobiles Arbeiten, Homeoffice oder das Arbeiten auf Vertrauenbsbasis könnte dadurch erschwert werden. Verhandelt wurde ein Fall aus Nordrhein-Westfalen.

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). "Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung", sagte Gallner in der Verhandlung. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit.

Sind Vertrauensarbeitszeitmodelle und Homeoffice nun passé?

Das Bundesarbeitsgericht zog aber nicht das Arbeitszeit-, sondern das Arbeitsschutzgesetz heran. Nach Paragraf 3 sind Arbeitgeber danach schon heute verpflichtet, "ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann". Gallner sagte in der Verhandlung: "Zeiterfassung ist auch Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung."

Mit seinem Grundsatzurteil prescht das Bundesarbeitsgericht in der Debatte um die Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes vor. Die Bundesregierung arbeitet daran, Vorgaben des EuGH aus dessen Stechuhr-Urteil von 2019 in deutsches Recht umzusetzen. Danach sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Die soll nach der Intension des EuGH helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten. Die Kehrseite von Vertrauensarbeit seien teils unbezahlte Überstunden, argumentieren Gewerkschafter.

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Gerichts sollte eigentlich nur eine andere Frage klären

Fachleute rechnen damit, dass das BAG-Grundsatzurteil Auswirkungen auf die bisher häufig praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben wird, weil damit mehr Kontrolle besteht. "Die Frage ist, ob Regelungen zu Vertrauensarbeitszeit so wie bisher noch möglich sind", so Arbeitsrechtler Thüsing. Andere Fachleute sind da optimistischer. Gerichtspräsidentin Gallner sagte dazu, nach dem EuGH-Urteil habe Deutschland Gestaltungsspielraum "über das Wie, nicht das Ob der Arbeitszeiterfassung". Unternehmen müssten nun Lösungen zur "umfassenden Arbeitszeiterfassung einrichten", glaubt der Fachanwalt Michael Kalbfus von der Kanzlei Noerr in München.

Eigentlich ging es bei dem Fall, der verhandelt wurde, nur um die Frage, ob Betriebsräte auf die Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems pochen können - also ein Initiativrecht haben. Der Betriebsrat scheiterte mit seiner Forderung, bei der es ihm um die bessere Überstundendokumention ging. Eine betriebliche Mitbestimmung oder ein Initiativrecht sei ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gibt, begründete das Bundesarbeitsgericht seine Ablehnung. Dass der Rechtsstreit zu einem Grundsatzurteil führte, überraschte sichtlich die Anwälte des Betriebsrats und des Arbeitgebers.

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