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Zeit des Verpetzens

 Bespitzelung und Verrat haben in Russland Hochkonjunktur

  • Veröffentlicht: 16.05.2023
  • 14:09 Uhr
  • Anne Funk
Polizisten verhaften in St. Peterburg einen Mann während eines Protestes zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionsführers Nawalny.
Polizisten verhaften in St. Peterburg einen Mann während eines Protestes zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionsführers Nawalny. © Dmitri Lovetsky/AP/dpa

Den Nachbarn wegen ukrainischer Musik anschwärzen, die Lehrerin wegen kritischer Kommentare zum Angriff auf die Ukraine melden: Das Denunziantentum in Russland ist durch den Krieg neu befeuert worden.

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Seit nun fast 15 Monaten führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Das hat nicht nur schwerwiegende Folgen für das angegriffene Land, sondern auch im Staat Wladimir Putins. Der Krieg sorgt dafür, dass es offenbar wieder salonfähig geworden ist, seinen Nächsten ganz offiziell anzuschwärzen.

Aus Protest gegen die Invasion oder aus Angst vor einer Einberufung sind bereits Hunderttausende Russen geflohen. Doch noch immer leben zahlreiche Menschen im Land, die nicht mit Putins Weg einverstanden sind - und damit sind nicht nur die großen Kriegskritiker gemeint. Jeder, der sich in irgendeiner Form pro-ukrainisch äußert, ist inzwischen in Gefahr. Denn innerhalb der russischen Gesellschaft ist eine finstere Praxis wiedererwacht: das Denunziantentum. 

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Die russische Aufsichtsbehörde Roskomnadsor registrierte bereits im ersten Halbjahr 2022 fast 145.000 Beschwerden von Büger:innen - das sind ein Viertel mehr als im Vorjahreszeitraum. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie vorsichtig man inzwischen mit Äußerungen, aber auch Handlungen sein muss. So wurde eine Englischlehrerin in der Nähe von Moskau zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt - ein Schüler hatte sie für kriegskritische Äußerungen verpetzt. In Moskau wurde eine Achtklässlerin wegen des Zerknüllens einer russischen Papierflagge angezeigt. Weil ein Nachbar im Auto laut ukrainische Musik hörte und Anwohner:innen sich gestört fühlten, riefen sie die Polizei - der Mann wurde zu einer Strafzahlung von umgerechnet 350 Euro verurteilt. Eine Mutter meldete ihren eigenen Sohn den Behörden, weil er sich vor der Einberufung versteckte.

Tradition des Denunzierens

Dies sind nur einige Fälle, sie zeigen aber auch, warum so viele zu Verpetzern werden: Nicht nur erfüllen sie so ihre vermeintlich patriotische Pflicht. Sie können sich auch gegebenenfalls einfach eines unliebsamen Mitmenschens entledigen. Kein Wunder, dass die aktuellen Fälle oft im sehr engen privaten oder beruflichen Umfeld stattfinden. 

In Russland hat es eine lange und tragische Tradition, Mitbürger:innen aus niederen Beweggründen an den Staat zu verraten. Während der Herrschaft von Josef Stalin (1927 - 1953) gab es regelrechte Denunzierungswellen, seinem Staatsterror und den beispiellosen Säuberungen waren mehrere Millionen Menschen zum Opfer gefallen.

Inzwischen ist aber selbst der Kreml überwältigt ob der Masse an Bespitzelungen und Verrat. "Was Denunzierungen betrifft, so war das stets etwas Abscheuliches, ist es noch immer und wird es, wie ich hoffe, auch bleiben", so Kremlsprecher Dmitri Peskow, als er von Journalist:innen darauf angesprochen wurde, dass sich seine Landsleute mit Anschuldigungen förmlich überhäufen.

Zwar kommt es nur bei einem Bruchteil der Anzeigen tatsächlich zu Verurteilungen. Doch seit Kriegsbeginn gibt es eine ganze Reihe neuer Gesetze, die sich recht frei auslegen lassen. Ganz vorne mit dabei: das Gesetz über die Verunglimpfung von Russlands Streitkräften. Dafür können im schlimmsten Fall 15 Jahre Straflager verhängt werden. So bleibt die Angst in der russischen Bevölkerung, aus welchem Grund auch immer angeschwärzt  zu werden, groß.

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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