"Noch nie so einen Schmerz erlebt"
Eva starb bei Neuschwanstein - Brief ihrer Zwillingsschwester rührt Gerichtssaal zu Tränen
- Veröffentlicht: 27.02.2024
- 17:17 Uhr
- Lena Glöckner
Zwei junge Frauen aus den USA reisen nach ihrem Uni-Abschluss gemeinsam nach Europa, wollen die Reise mit einem Besuch im Märchenschloss Neuschwanstein abschließen. Heim nach Illinois fliegt nur eine von ihnen. Der Mann, der schuld daran ist, steht derzeit in Kempten vor Gericht.
"Seit sie nicht mehr da ist, habe ich kein Klavier mehr gespielt. Denn ich kenne ja nur die Noten für die eine Hand", liest der Dolmetscher in einem gut gefüllten Saal im ersten Stock des Landgerichts Kempten vor. In seiner Hand hält er einen Brief von Alice L. Sie ist die Zwillingsschwester von Eva L. - der 21-jährigen Frau, die im vergangenen Juni bei einem Besuch des Schlosses Neuschwanstein ihr Leben lassen musste.
Während der Dolmetscher die englischen Worte der trauernden Schwester ins Deutsche übersetzt, ist die gesamte Zuschauerbank zum ersten Mal wirklich still an diesem zweiten Prozesstag (Montag, 26. Februar). Kein Knacksen, Rascheln, Flüstern, wie sonst in diesem Prozess, zu dem jeder der Anwesenden eine Meinung hat - und sie auch kundtut.
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So auch die ältere Dame in der zweiten Reihe, die "elendiger Drecksack" und andere Unflätigkeiten in Richtung des 31-jährigen Angeklagten zischt, als der IT-Sachverständige beschreibt, was auf den Videos und Fotos zu sehen ist, die Troy B. von der Tat erst erstellt und anschließend fein säuberlich in einem versteckten Ordnersystem hat verschwinden lassen. In einem Anflug von überbordender Dramatik stürmt sie aus dem Saal - nur um Minuten später erneut hereinzuplatzen und ihren Mantel zu holen.
Eva starb nicht am Sturz
Eva L. und ihre Freundin Kelsey C. kannten ihren Angreifer nicht. Sie waren zufällig aufeinandergetroffen, kamen ins Gespräch, nachdem alle drei auf dem regennassen Waldboden des Wanderwegs ausgerutscht waren. Laut Anklage lockte der Beschuldigte die Frauen dann auf einen abgelegenen Pfad, nur um die 21-jährige Eva zu Boden zu werfen, sich auf sie zu stürzen und mit beiden Händen zu würgen. Als Freundin Kelsey C. eingriff, wurde sie in die Schlucht gestoßen. Sie erlitt durch den fast 50 Meter langen Sturz zahlreiche Schürfwunden und eine Platzwunde am Kopf.
Danach soll der Angeklagte die 21-Jährige weiter gewürgt und vergewaltigt haben. Wanderer überraschten Troy B. während der Tat, sodass er von Eva abließ, so die Rekonstruktion des Tatablaufs. Danach warf er auch sie den Abhang hinab. Die 21-Jährige starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Jedoch nicht an den Folgen des Sturzes, wie die obduzierende Rechtsmedizinerin vor Gericht betonte. Sondern an der massiven Gewalteinwirkung gegen ihren Hals. "Bei dem Hals einer Person, die überlebt hat, hat man so eine Einwirkung noch nicht gesehen", so die Medizinerin. Im Klartext: So etwas kann man nicht überleben. Evas Gehirn war so unterversorgt mit Sauerstoff, dass es bereits um ein Vielfaches angeschwollen war.
"Noch nie im Leben habe ich so einen Schmerz erlebt"
Im Brief ans Gericht erzählt Schwester Alice von den Kuchen, die sie nie wieder gemeinsam backen können. Und den Namen für Haustiere, die sie sich gemeinsam ausdachten, nun aber nie vergeben werden. Sie berichtet von gemeinsamen Träumen, irgendwann mal ein Café, eine Bäckerei oder einen Blumenladen zu eröffnen. Und von ihren eigenen Träumen, seit es Eva nicht mehr gibt. "Ich träume oft von ihr", zitiert der Dolmetscher sie. "Dann erinnert mich einer im Traum, dass sie tot ist und ich weine, lege mir Eiswürfel auf die Augen und versuche, wie eine normale Studentin zur Uni zu gehen." Noch nie im Leben habe sie so einen Schmerz erlebt.
Eva hätte Software-Ingenieurin bei Microsoft werden sollen, schreiben die stolzen Eltern in einem zweiten Brief, der dem Gericht vorliegt. Den Vertrag hatte sie bereits unterschrieben. "Sie war ein lebhafter, netter, emotionaler Mensch und wir waren stolz auf ihre Unabhängigkeit." Worte, die auch den sonst so stoisch auf den Boden starrenden Angeklagten sichtbar mitnehmen. Er ringt mit den Tränen, reibt sich die Augen und lässt sich vom Verteidiger ein Taschentuch reichen. Es ist die erste Regung, die Troy B. im Mordprozess gegen ihn zeigt.
So beschreibt Kelsey C. die Minuten der Tat
Sein Ende findet der rund sechsstündige Prozesstag mit der Präsentation eines rund eineinhalbstündigen Videos der Vernehmung von Kelsey C. Es zeigt die damals 22-Jährige nur Tage nach der Tat, im Gespräch mit dem Ermittlungsrichter, einem Dolmetscher und zwei Ermittlern. Tapfer berichtet Kelsey, was sie in diesen für sie endlos wirkenden Minuten auf und neben dem Wanderpfad erlebt hat, geht geduldig und ruhig auf jede noch so kleinlich wirkende Frage ein. Beschreibt, wie ihr Kopf dem Abgrund immer näher kam, bis der Angeklagte sie letztlich nach unten stieß.
Und wie sie an einem Baumstamm am Abhang wieder zu sich kam, sich verletzt und in Todesangst versteckte. Bis ihre bewusstlose Freundin neben ihr aufschlug und sie sich in ständiger Angst vor dem Angreifer und einem Absturz um sie kümmerte. Kelsey C. wird in Kempten nicht mehr als Zeugin aussagen, "und dazu können und wollen wir sie auch nicht zwingen", sagt der Richter.
Am Mittwoch (28. Februar) wird der Prozess fortgesetzt. Dann vernimmt die Schwurgerichtskammer einen Wanderer und hört sich die Ausführungen des psychologischen Gutachters zum Angeklagten an. Am Montag (4. März) werden die Plädoyers erwartet.
- Verwendete Quellen:
- Die :newstime-Reporterin war vor Ort am Landgericht Kempten