Gazastreifen
Geiseln "in akuter Lebensgefahr": Deutsch-Israelis in den Händen der Terroristen
- Veröffentlicht: 08.08.2025
- 14:14 Uhr
- Leonhard Pangratz
Sieben deutsch-israelische Doppelstaatler werden im Gazastreifen weiter als Geiseln gehalten. Ihre Familien bangen um ihr Leben - und machen Druck auf die Bundesregierung. Nun äußert sich das Auswärtige Amt.
Der junge Mann in dem Video wirkt körperlich völlig erschöpft und stark unterernährt. Auf einer Matratze liegend, spricht Rom Braslavski laut "Bild" Sätze wie: "Ich kann nicht schlafen, ich kann nicht leben" oder "Ich stehe kurz vor dem Tod." Der 21-Jährige ist auch deutscher Staatsbürger - und wird als Geisel im Gazastreifen festgehalten.
Ein Großteil der Welt reagierte schockiert, als die Terrororganisation Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) Ende Juli ein Propagandavideo veröffentlichte, in dem Braslavski am Ende seiner Kräfte zu sehen ist. Er ist eine von insgesamt sieben Geiseln mit deutscher Staatsangehörigkeit, welche im Zuge des Massakers am 7. Oktober 2023 von der islamistischen Terrorgruppierung Hamas verschleppt wurden. Was weiß man über ihre Verfassung - und was tut Deutschland für ihre Freilassung?
Gemäß einem Statement der israelischen Botschaft in Berlin gegenüber :newstime ist der aktuelle Zustand von Braslavski und den anderen Deutsch-Israelis unbekannt, die Geiseln schwebten jedoch "in akuter Lebensgefahr". Die Botschaft bezieht sich dabei auf einen medizinischen Bericht, der im Auftrag des Hostages and Missing Families Forum erstellt und am Montag (4. August) veröffentlicht wurde. Die anderen Doppelstaatler sind namentlich Ziv und Gali Berman, Tamir Adar, Alon Ohel, Tamir Nimrodi sowie Itay Chen.
Israelische Botschaft: "Jede Verzögerung gefährdet das Leben der Geiseln"
Itays Vater, Ruby Chen, meldete sich kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP zu Wort. Die frühere Bundesregierung habe "viel Mitgefühl" gezeigt, so Chen. Nun hofft er darauf, dass die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) die Bemühungen intensiviert, seinen Sohn sowie die anderen Geiseln zu befreien. Er möchte das Thema wieder sichtbarer machen - und die Dringlichkeit der Lage zum Ausdruck bringen.
Insgesamt sind es noch 50 Geiseln, welche sich in Gefangenschaft palästinensischer Terrorgruppierungen befinden. Laut einer Aussage des deutschen Außenministers Johann Wadephul (CDU) wird die Mehrzahl der Geiseln "bedauerlicherweise nicht mehr am Leben sein" - man geht von 20 Lebenden aus.
Ruby Chens Sohn Itay zählt nach Geheimdienstinformationen wohl nicht dazu, doch sein Vater hofft weiter. Zu Chens Schicksal äußerte sich die israelische Botschaft gegenüber :newstime wie folgt: "Wir stehen in dieser schweren Zeit fest an der Seite der Familie Chen und setzen alle verfügbaren Mittel ein, um die sterblichen Überreste von Itay nach Israel zurückzubringen und die noch in Gefangenschaft befindlichen Personen zu befreien."
Aus einer Pressemitteilung der Botschaft vom Dienstag (5. August) geht zudem hervor, dass man von einem "systematische[n] Muster von Misshandlungen" ausgehe. Dazu zähle "die Verweigerung medizinischer Versorgung, das Aussetzen extremer Umweltbedingungen und die vorsätzliche Schädigung der mentalen Gesundheit".
Nun sei die internationale Gemeinschaft gefragt. Sie müsse Druck auf die Hamas aufbauen, um zunächst die unabhängige Versorgung der Geiseln mit Lebensmitteln und Medikamenten zu gewährleisten. Das Ziel bleibe die Freilassung aller Geiseln sowie die Rückgabe der Leichen. "Jede Verzögerung gefährdet das Leben der Geiseln", so die Botschaft des Staates Israel in Berlin.
Auswärtiges Amt: Geisel-Freilassung hat Priorität
Die Bundesregierung sei ebenfalls "in allergrößter Sorge um den Gesundheitszustand der verschleppten Geiseln", erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes (AA) am Donnerstag (7. August) auf eine Anfrage von :newstime. Zu Einzelfällen könne man sich allerdings aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht öffentlich äußern. Die Freilassung aller Geiseln habe aber äußerste Priorität.
Die Sprecherin des AA unterstreicht zudem die Rolle des deutschen Außenministers Wadephul. Von Beginn seiner Amtszeit habe er sich sehr für die Angehörigen der deutsch-israelischen Geiseln eingesetzt, auch im Rahmen von persönlichen Treffen mit deren Familien. Das letzte Zusammenkommen dieser Art habe erst vor einer Woche (1. August) in Jerusalem stattgefunden.
Zudem verweist das Auswärtige Amt auch auf diplomatische Erfolge. Demnach wurden während der ersten Feuerpause vom 24. bis 30. November 2023 und während des letzten Waffenstillstands vom 19. Januar bis 18. März 2025 "über 140 von der Hamas verschleppte Geiseln freigelassen, darunter 24 Personen mit engem Bezug zu Deutschland". Dabei habe sich der Waffenstillstand als das effektivste Mittel erwiesen, um den Geiseln zu helfen.
Bedrohen Netanjahus Pläne das Leben der Geiseln?
Außenminister Wadephul erklärte, es sei "an der Zeit, diesen Krieg zu beenden". Gerichtet sind diese Worte vor allem an die Hamas, welche erkennen solle, "dass jetzt die Stunde gekommen ist, die Geiseln freizulassen und die Waffen zu strecken". Doch auch angesichts der Pläne von Israels Ministerpräsident Netanjahu, den Gazakrieg auszuweiten, bleibt das Schicksal der Geiseln ungewiss.
Die israelische Armeeführung sieht in einer Ausweitung der Kämpfe - auf die Deutschland am Freitag (8. August) mit einem teilweisen Stopp von Rüstungsexporten reagierte - das Risiko, dass die Geiseln in Gefahr geraten und von ihren Entführern ermordet werden könnten, sollten sich Soldaten den Orten nähern, wo sie festgehalten werden. Gegenüber der Zeitung "Jediot Achronot" warnten Militärs ebenfalls davor, tief in die anvisierten Gebiete vorzudringen. Der "vollständige Verlust aller Geiseln" könnte demnach die Folge sein.
Auch die Hamas hat bereits auf die Ankündigungen reagiert. Die israelische Armee werde für die Ausweitung der Kämpfe und eine vorübergehende Kontrolle im Gazastreifen einen "hohen Preis" zahlen. Andeutungen zu den verbliebenen Geiseln gab es vorerst nicht.
Familien drängen auf Einigung und Kriegsende
Auch Angehörige der Entführten sprechen sich immer wieder gegen militärische Befreiungsversuche aus und drängen stattdessen auf eine Einigung zur Beendigung des Kriegs. Beinahe zwei Jahre fürchten die Eltern von Rom Braslavski und Itay Chen bereits um das Leben ihrer Söhne - ebenso wie die Angehörigen der anderen Geiseln.
Die Kämpfe gehen weiter, eine rasche Lösung des Konflikts scheint kaum absehbar. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron preschte mit einer geplanten Anerkennung Palästinas vor, Großbritannien will möglicherweise nachziehen. Ruby Chen fordert laut NTV in Bezug auf mögliche Verhandlungen zu einer Zweistaatenlösung, es müssten "zuerst die Geiseln freikommen, die Lebenden wie die Toten". Für diejenigen, welche die Geiselhaft im Gazastreifen bislang überlebten, ist es auch ein Kampf gegen die Zeit.
- Verwendete Quellen
- Nachrichtenagentur dpa
- Spiegel: "Vater von deutsch-israelischer Geisel drängt Bundesregierung zum Handeln"
- Focus: "Entsetzen in Israel: Hamas-Geisel muss in Gräuel-Video 'eigenes Grab' schaufeln"
- NTV: "Appell an israelische Regierung: Video von deutsch-israelischer Geisel in Gaza veröffentlicht"
- WELT: "Du siehst deinen Sohn sterben und kannst nichts tun"
- Stern: "Islamischer Dschihad veröffentlicht Video von deutsch-israelischer Geisel"