Anzeige
Krieg um Palästina

Der Nahost-Konflikt: Hintergründe und Hauptstreitpunkte

  • Veröffentlicht: 09.02.2024
  • 14:27 Uhr
  • Michael Reimers
Raketen werden von palästinensischen Militanten auf Israel abgefeuert.
Raketen werden von palästinensischen Militanten auf Israel abgefeuert.© REUTERS

Der Nahost-Konflikt besteht seit über 100 Jahren und bleibt ungelöst. Im Streit um das Gebiet Palästina bekämpfen sich hauptsächlich Juden und Araber, 2023 ist erneut Krieg ausgebrochen. Wie kam es zum Nahost-Konflikt, was sind die Hauptstreitpunkte und welche Lösungsansätze werden diskutiert?

Anzeige

Im Nahost-Konflikt geht es hauptsächlich um die Region Palästina, zu der heute das Westjordanland, Ost-Jerusalem und der Gazastreifen gehören. Der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen begann 1947 mit der Gründung des Staates Israel, doch die Ursprünge des Konflikts gehen viel weiter zurück. Seit mehreren tausend Jahren wird das Gebiet Palästina zu unterschiedlichen Zeiten von Christ:innen, Muslim:innen und Juden sowie Jüdinnen bevölkert. Die Region hat für jeden eine besondere geschichtliche und religiöse Bedeutung. Das sieht man besonders gut an der Stadt Jerusalem: 70 n. Chr. wurde hier der jüdische Tempel, in dem sich die jüdische Religion entwickelte, von den Römern zerstört. Stehen blieb nur der westliche Teil, der sich im Laufe der Jahrhunderte zuerst unter dem Namen Klagemauer, heute Westmauer genannt, zu einer religiösen Stätte des Judentums entwickelte. In Jerusalem steht aber auch der älteste monumentale Sakralbau des Islams, der Felsendom auf dem Tempelberg.

1917/1918 wird Palästina im Ersten Weltkrieg von britischen Truppen erobert und zum britischen Mandatsgebiet erklärt. Die britische Regierung verspricht den Araber:innen, die bei der Eroberung Unterstützung leisteten, einen eigenen Nationalstaat. 1922 sagt sie aber mit der Balfour-Deklaration auch dem jüdischen Volk Unterstützung zu. Von da an verschärft sich die Situation zwischen Juden sowie Jüdinnen und Palästinenser:innen, denn immer mehr Menschen jüdischen Glaubens, auch aus der jüdischen Nationalbewegung des Zionismus, wandern ein und lassen sich im Land nieder. Auf jüdischer Seite entsteht der Wunsch, in Palästina einen eigenen Staat zu errichten. Allerdings leben dort zum größten Teil nicht-jüdische Bewohner:innen, vor allem Muslim:innen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab Großbritannien 1947 das Mandat für Palästina zurück. Die Kosten für die Befreiung der angespannten Situation standen in keinem Verhältnis zur strategischen Bedeutung Palästinas. Im selben Jahr schlägt die UNSCOP, ein Sonderausschuss der UNO, eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor. Die jüdische Bevölkerung stimmt zum größten Teil dem Plan zu, der jüdischen Gemeinschaft nach dem Holocaust eine neue Heimat zu geben. Die arabische Führung lehnt den Plan ab, da die Mehrheit der Bevölkerung nicht-jüdischen Religionen angehört. Am 14. Mai 1948 ruft der designierte israelische Ministerpräsident David Ben Gurion den Staat Israel aus.

Im Video: Experte warnt vor endlosem Krieg im Gazastreifen

Wem gehört Palästina? Konflikte und Kriege im Kampf um das Land

Anzeige
Anzeige

Palästinakrieg

Nur einen Tag nach der Gründung Israels greifen fünf arabische Staaten, darunter Ägypten und Syrien, Israel an. Der seit 1947 geführte Bürgerkrieg wird zum Palästinakrieg, auf arabisch "Nakba" (die Katastrophe) genannt. Er endet 1949 mit einem Sieg Israels. In den Waffenstillstandsverträgen sichert sich Israel sehr viel mehr Gebiet in Palästina als ursprünglich im UN-Teilungsplan vorgesehen. Jerusalem wird zwischen Jordanien und Israel aufgeteilt, der Gazastreifen unter ägyptische Verwaltung gestellt. Die Niederlage und unterschiedlichen Ziele der angreifenden arabischen Regierungen sorgen dafür, dass kein arabischer Staat in Palästina gegründet wird. Als Folge flüchten 750.000 Araber:innen aus ihren Dörfern oder werden vertrieben. Bis heute wird von Israel das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge gefordert, was ein Hauptstreitpunkt des Nahost-Konflikts ist.

Suezkrise

1956 verhärtet sich der Konflikt zwischen Israel und Ägypten. Infolgedessen sperrt der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal für israelische Schiffe und verstaatlicht ihn später. Israel läuft in den Gazastreifen ein und fordert die Halbinsel Sinai von Ägypten. Mit der militärischen Unterstützung von Großbritannien und Frankreich gelingt Israel eine Besetzung des Kanals. Im November 1956 werden die Länder von den Vereinten Nationen zum Waffenstillstand gezwungen.

Anzeige

Sechstagekrieg, Jom-Kippur-Krieg und Libanonkrieg

Auslöser für den Sechstagekrieg, auch Junikrieg genannt, ist die Blockade der Meerenge von Tiran für israelische Schiffe durch Ägypten am 22. Mai 1967. Syrien, Irak, Jordanien und Saudi-Arabien schicken militärische Unterstützung, Israel bekommt durch einen Überraschungsangriff die Vorhand und besetzt das Westjordanland, Ost-Jerusalem, den Gazastreifen und die Golanhöhlen. Damit wird Israels Gebiet erneut größer. Im November 1967 beschließt der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 242, dass sich Israel aus den besetzten Gebieten zurückziehen soll. Israel stimmt zu, will aber von den arabischen Regierungen offiziell anerkannt werden, was diese ablehnen.

An Jom Kippur (höchster jüdischer Feiertag) 1973 greifen Ägypten und Syrien Israel an, eine Gegenoffensive gelingt erst nach harten Kämpfen. Knapp 3.000 israelische Soldat:innen und Zehntausende Ägypter:innen und Syrer:innen sterben. 1979 wird der israelisch-ägyptische Friedensvertrag unterzeichnet, der unter anderem die Rückgabe Sinais regelt.

1982 reagiert Israel auf die Ermordung seines Botschafters in London und Überfälle der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO mit Luftangriffen und einer Invasion des Libanon. Am 16. September verüben christlich-libanesische Milizen im Beisein von israelischen Truppen ein Massaker in palästinensischen Flüchtlingslagern. 1983 ist der Krieg offiziell beendet, doch erst 2000 zieht sich Israel aus einer Sicherheitszone im südlichen Libanon zurück. 2006 bricht der Krieg erneut aus, als die Hisbollah, eine islamistische Miliz im Libanon, Nordisrael mit Raketen beschießt.

Die "Intifadas" und das Oslo-Abkommen

In der 1980er Jahren kommt es vermehrt zu Unruhen zwischen Israelis und Palästinenser:innen. Diese Zeit der Demonstrationen, Straßenkämpfen und Streiks wird "Erste Intifada" (“Abschüttelung” auf Arabisch) genannt. 1990 beginnt der Irak-Krieg, der international geführt wird. Israel steht auch hier unter Beschuss. 1993 treffen sich Regierungsmitarbeiter:innen in Oslo mit Vertreter:innen der PLO. Nach zähen Verhandlungen unterzeichnen der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin und der palästinensische Präsident Yassir Arafat die Oslo-Verträge, in denen ein etappenweiser Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten der Palästinenser:innen beschlossen wird. Allerdings werden viele weitere wichtige Fragen ausgeklammert.

Im Jahr 2000 beginnt die "Zweite Intifada", als der israelische Oppositionsführer Ariel Scharon den für Muslim:innen heiligen Tempelberg besucht. Es kommt nicht nur zu Protesten, sondern zu Gewaltdemonstrationen. Die folgenden Jahre sind geprägt von Terroranschlägen und Selbstmordattentaten. Die "Zweite Intifada" endet am 8. Februar 2005 mit einem Waffenstillstand zwischen Ariel Scharon und dem neuen palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas.

Anzeige

Kriege im Gazastreifen

Ab 2005 kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen um den Gazastreifen. Treibende Kraft ist die palästinensische sunnitisch-islamistische Terrororganisation Hamas, die 2006, ein Jahr nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen, politisch und gewaltsam an die Macht kommt. Sie will den Staat Israel zerschlagen und einen islamistischen Staat Palästina erschaffen. Von 2005 bis 2021 kommt es zu mehreren Kriegen um den Gazastreifen. Kritische Geschehnisse und Auslöser für Kampfhandlungen waren unter anderem die Entführung und Ermordung dreier israelischer Jugendlicher und eines palästinensischen Jugendlichen 2014 oder die Anerkennung Jerusalems 2017 durch US-Präsident Donald Trump. Immer wieder werden Friedensverhandlungen aufgenommen, sie alle scheitern aber.

Aktuelle Situation 2023/2024

2022 verschärft sich die Situation erneut und es kommt zu hohen Opferzahlen unter den Palästinenser:innen. 2023 greifen radikalisierte israelische Siedler:innen mehrmals Bewohner:innen der palästinensischen Stadt Huwara an. Um die Osterzeit 2023 kommt es zu mehreren Auseinandersetzungen zwischen der Hamas, Israel, Syrien und dem Libanon. Am 7. Oktober 2023 feuert die Hamas in einem groß angelegten Überraschungsangriff Raketen auf Israel und Terroristen ermorden fast 1.200 Menschen aus der Zivilbevölkerung. Der Angriff löst einen Terrorkrieg der Hamas gegen Israel aus. Im Gazastreifen sind durch verheerende Angriffe des israelischen Militärs offiziellen Angaben der Gaza-Behörden zufolge mehr als 20.000 Menschen gestorben.

Der Ausgang dieses erneuten Konflikts ist offen. Falls Israel die Hamas nicht besiegt, könnte die Situation auf Vorkriegsstatus zurückfallen, allerdings mit höheren Sicherheitsvorkehrungen. Wenn Israel den Gazastreifen erneut erobert, könnte es zu einer längeren Besetzung kommen, was allerdings die USA verhindern will. Ein weiteres Szenario geht von internationalen Friedenstruppen aus, die den Frieden stabilisieren sollen. Das scheint eher unwahrscheinlich, da die Palästinenser eine Einmischung von Außen ablehnen und sich die westlichen Staaten auf eine gemeinsame Linie einigen müssten. Die Entsendung arabischer Truppen zur Friedenssicherung und ein arabischer Rat zur vorübergehenden Kontrolle des Gazastreifens werden ebenfalls diskutiert. Hierfür ist allerdings ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nötig sowie eine Zustimmung Israels.

Anzeige

Hauptstreitpunkte im Nahost-Konflikt

Grenzen und Voraussetzungen eines palästinensischen Staates

Wo genau sich Israel von einem zukünftigen palästinensischen Staat abgrenzen soll, ist unklar. Aufgrund verschiedener Kriege ist das von Israel besetzte Gebiet heute viel größer als ursprünglich geplant. Die Palästinenser:innen hingegen fordern ein größeres Gebiet. Zudem will Israel einem eigenen Staat nur zustimmen, wenn dieser entmilitarisiert sein soll und die Grenzen von israelischen Soldaten kontrolliert werden.

Flüchtlinge

Während und nach dem Krieg 1948/1949 mussten etwa fünf Millionen Palästinenser:innen aus dem Gebiet des heutigen Israel flüchten. Israel gewährt ihnen kein Rückkehrrecht.

Israelische Siedlungspolitik

Im Sechstage-Krieg 1967 eroberte Israel unter anderem das Westjordanland. Seitdem betreibt Israel dort Siedlungsbau, häufig an strategisch günstigen Punkten, was völkerrechtlich betrachtet illegal ist. 2023 leben dort über 500.000 Israelis.

Jerusalem

Jerusalem ist die Heimat heiliger Stätten von Muslim:innen, Christ:innen und Juden sowie Jüdinnen. Israel bleibt bei der Überzeugung, dass die heilige Stadt nicht teilbar ist. Die Palästinenser:innen wollen Ost-Jerusalem als Hauptstadt ihres eigenen Staates, wo sich aber der Tempelberg mit der Westmauer befindet.

Welche Lösungen werden im Nahost-Konflikt diskutiert?

Die Zweistaatenlösung steht bereits seit Jahrzehnten im Raum und wird von der westlichen Region, hauptsächlich den USA, präferiert. Hier würde nach dem ursprünglichen Teilungsplan von 1947 ein unabhängiger Staat Palästina und ein Staat Israel (bzw. dessen internationale Anerkennung) entstehen.

Bei der Einstaatenlösung soll aus Israel, dem Westjordanland und dem Gazastreifen ein einheitlicher Staat werden. Hier würden Juden und Jüdinnen, Christ:innen und Araber:innen mit denselben Rechten und Pflichten zusammenleben. Diese Lösung wird aber von beiden Parteien abgelehnt.

Bei der Dreistaatenlösung soll die Kontrolle des Westjordanlands an Jordanien abgegeben werden und der Gazastreifen an Ägypten gehen. Die Aufteilung von Israel sowie zwei palästinensischen Staaten im Westjordanland und im Gazastreifen zählt ebenfalls zu dieser Variante. Auch wenn dieses Szenario immer wieder in Erwägung gezogen wird, gilt: Die Zweistaatenlösung ist die vorherrschende Option für ein Ende des Nahost-Konflikts.

  • Verwendete Quellen:
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Nahostkonflikt
  • Deutschlandfunk: Siedlerbewegung Israels
  • Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Der Nahostkonflikt
  • RedaktionsNetzwerk Deutschland: Szenarien für den Gazastreifen
  • Statista: Israelische Bevölkerung im Westjordanland / Opferzahlen im Terrorkrieg Hamas gegen Israel
Mehr News zum Thema
Nach Geisel-Video: Tausende demonstrieren auf den Straßen Israels

Nach Geisel-Video: Tausende demonstrieren auf den Straßen Israels

  • Video
  • 01:38 Min
  • Ab 12
Mehr News und Videos

© 2024 Seven.One Entertainment Group