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Pflegende, Ältere und Migrant:innen stark betroffen

Neue Daten: Regierung will gezielter gegen Einsamkeit vorgehen

  • Veröffentlicht: 30.05.2024
  • 12:54 Uhr
  • Babette Büchner
Bundesfamilienministerin Lisa Paus stellte das Einsamkeitsbarometer mit Zahlen zum Einsamkeitsgefühl in Deutschland vor.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus stellte das Einsamkeitsbarometer mit Zahlen zum Einsamkeitsgefühl in Deutschland vor. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Vor allem seit der Corona-Pandemie berichten mehr Menschen von einem Gefühl der Einsamkeit - auch Jüngere sind betroffen. Familienministerin Lisa Paus hat zu dem Thema nun umfangreiche Daten vorgestellt. Ihr "Einsamkeitsbarometer" ist Teil einer Strategie der Bundesregierung.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Familienministerin Lisa Paus hat neue Forschungsergebnisse zur Einsamkeit in Deutschland vorgestellt.

  • Pflegende, Ältere und Migrant:innnen sind demnach stark betroffen.

  • Nach Aussagen von Forscher:innen sind die Folgen einer chronischen Einsamkeit in vielerlei Hinsicht problematisch.

Inhalt

Die Bundesregierung will mit gezielten Maßnahmen gegen Einsamkeit in Deutschland vorgehen. Dazu hat Familienministerin Lisa Paus (Grüne) heute (30. Mai) erstmals umfassende Forschungsergebnisse vorgestellt. Aus dem sogenannten Einsamkeitsbarometer geht demnach hervor, dass Alleinerziehende, Menschen hohen Alters und Migrant:innen häufiger von Einsamkeit betroffen sind als andere Bevölkerungsgruppen. 16,4 Prozent der Alleinerziehenden litten im Jahr 2021 unter Einsamkeit, bei Haushalten ohne Minderjährige betrug der Anteil lediglich 10,5 Prozent. Auch in den analysierten Vorjahren 2020, 2017 und 2013 zeigte sich bei dem Vergleich der beiden Gruppen ein Abstand von etwa sechs Prozentpunkten.

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Pflegende und Migrant:innen stark betroffen

Generell betrifft die höhere Einsamkeitsbelastung dem Bericht nach Menschen, die Pflegearbeit leisten. Auch Menschen mit Migrationserfahrung sind demnach tendenziell einsamer als andere. 16,3 Prozent der Über-18-Jährigen mit Migrationsgeschichte gaben 2021 an, besonders von Einsamkeit belastet zu sein. Bei Menschen ohne diese Erfahrung waren es nur 9,9 Prozent.

"Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Während der Pandemie hat dieses Gefühl stark zugenommen", sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Am stärksten von Einsamkeit betroffen seien über den untersuchten Zeitraum hinweg im Schnitt Menschen über 75 Jahre gewesen, erklärte Paus. Lediglich im ersten Pandemiejahr 2020 seien erstmals jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren mit einer Quote von 31,8 Prozent stärker von Einsamkeit betroffen gewesen als Menschen über 75 (22,8 Prozent).

Erste Langzeitanalyse von Betroffenen

Das Einsamkeitsbarometer liefert auf der Grundlage von Erhebungen des Sozioökonomischen Panels Erkenntnisse zur Entwicklung der Einsamkeit zwischen 1992 und 2021 - und damit für einen Zeitraum von 30 Jahren. Erhoben haben die Forscher die Daten zum Einsamkeitsgefühl nach Alter, Geschlecht und Wohnort in Ost- und Westdeutschland. Erstmals liegt damit nach Angaben des Familienministeriums eine Langzeitanalyse zu den Menschen vor, die in Deutschland davon betroffen sind. 

Dass Einsamkeit kein Problem allein der älteren Generation ist, hat auch eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) ergeben. Demnach fühlt sich jeder Dritte im Alter zwischen 18 und 53 Jahren zumindest teilweise einsam. Seit der Corona-Pandemie ist Einsamkeit bei jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren weit verbreitet. Die Untersuchung basiert auf mehreren sozialwissenschaftlichen Datensätzen zur Zeitspanne von 2005 bis zum Winter 2022/2023. Spätestens seit der Pandemie sei deutlich, dass Einsamkeit ein relevantes gesellschaftliches Thema ist, sagte die BiB-Soziologin Sabine Diabaté.

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Gesellschaftliche Risiken durch Einsamkeit

Nach Aussagen der Forscher:innen sind die Folgen einer chronischen Einsamkeit dabei in vielerlei Hinsicht problematisch. Einsame hätten häufiger Schlafprobleme, ein höheres Risiko für koronare Herzerkrankungen oder Schlaganfälle und eine reduzierte Immunabwehr. Sie seien auch anfälliger für Suchterkrankungen. 

Das Problem berge zudem auch gesellschaftliche Risiken. Einsame Menschen seien empfänglicher für eine religiöse oder politische Radikalisierung. "Damit kann eine zunehmende Einsamkeit in der Bevölkerung auch ein Risiko für die Demokratie bedeuten, weil sie den inneren sozialen Zusammenhalt gefährden kann", erklärte BiB-Forschungsdirektor Martin Bujard.

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Aktionswoche "Gemeinsam aus der Einsamkeit"

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz pocht darauf, das Problem viel stärker als bisher in den Blick zu nehmen. "Einsamkeit trifft alle Generationen. Sie ist vielleicht die größte Volkskrankheit in Deutschland", sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Bestandsaufnahmen wie das Einsamkeitsbarometer alleine reichten da nicht aus, mahnte Brysch. "Einsamkeitsbarometer können hier lediglich den Zustand messen. Doch Probleme werden so noch nicht gelöst." Es gebe bislang nur einzelne Projekte gegen Einsamkeit. "Von einer Entwicklung in der Breite ist Deutschland weit entfernt."

Bereits im Dezember des vergangenen Jahres hatte die Bundesregierung ihre Strategie gegen Einsamkeit auf den Weg gebracht, das Barometer ist Teil dieser Strategie. Zu den geplanten Maßnahmen gehören unter anderem mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit und der Ausbau von Hilfsangeboten. Vom 17. bis zum 23. Juni 2024 soll es eine Aktionswoche "Gemeinsam aus der Einsamkeit" geben, um zusätzlich auf das Thema aufmerksam zu machen. Nach Angaben des Ministeriums handelt es sich um die erste Initiative dieser Art auf Bundesebene. Die Regierungen anderer Länder haben bereits vor Jahren Maßnahmen gegen Einsamkeit ergriffen. In Großbritannien und Japan gibt es beispielsweise schon seit Längerem eigene Ministerien für die Belange einsamer Menschen. "Wir wollen Einsamkeit aus der Tabu-Zone holen", bekräftigte Paus.

Wir wollen Einsamkeit aus der Tabu-Zone holen.

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Lisa Paus, 2024

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Sozialverband fordert mehr Investitionen

Um Betroffenen zu helfen, sollte die gesellschaftliche Teilhabe mehr gefördert werden, schlugen die BiB-Forscher:innen vor. "Es braucht mehr Bewusstsein für die hohe Verbreitung und den Leidensdruck von Einsamkeit, im Alltag mehr Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen", sagte Martin Bujard. Beispielsweise könnten über Hausarztpraxen, Besuchsdienste oder Nachbarschaftsprojekte vermittelt werden, um etwa chronisch Kranke sozial besser einzubinden.

Der Sozialverband Deutschland fordert von der Politik deutlich mehr Geld für gezielte Maßnahmen gegen Einsamkeit. Nötig seien zusätzliche Investitionen in Personal und Strukturen öffentlicher Begegnungsorte wie Bibliotheken, Schwimmbäder, Ärztehäuser, Quartiersläden, inklusive Schulen und Kitas sowie ein lückenloses Breitbandnetz, sagte die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. "Die Politik muss die Bekämpfung der Einsamkeit ganz oben ansiedeln."

  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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