Datenschutz
Analyse-Software der Polizei verfassungswidrig: Karlsruhe rügt Regelungen
- Aktualisiert: 16.02.2023
- 13:35 Uhr
- Julian Ragauskas
Bei der Verbrecherjagd setzt die Polizei in immer mehr Bundesländern auf eine umfassende Datenanalyse-Software. Kritiker fürchten, dass so auch unbescholtene Bürger:innen ins Visier der Ermittler:innen geraten. Das Bundesverfassungsgericht hat die aktuellen Regelungen in Hessen und Hamburg nun beanstandet.
Das Wichtigste in Kürze
Ein neues, höchst effektives Datenanalyse-Programm bei der Polizei in Hessen und Hamburg ist verfassungswidrig.
Die aktuelle Regelung verstoße gegen das Datenschutzgesetz, urteilt das Bundesverfassungsgericht.
Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich, so die Karlsruher Richter.
Die Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das gab das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag (16. Februar) bekannt. Eine verfassungsgemäße Ausgestaltung sei aber möglich, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Gerichtspräsident Stephan Harbarth, bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe.
Effektives Mittel für die Spurensuche
Mit der neuen Analyse-Software für riesige Datenmengen will die Polizei potenziellen Straftätern schneller auf die Spur kommen. Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden.
In Hessen, wo die Polizei schon seit 2017 mit der Software arbeitet, bekommt der Gesetzgeber bis spätestens Ende September Zeit, die problematische Vorschrift neu zu regeln. Bis dahin bleibt sie mit deutlichen Einschränkungen in Kraft. In Hamburg wird die Technik noch nicht genutzt, hier erklärte das Gericht den Passus für nichtig.
Auswirkungen auf andere Bundesländer
Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls bereits ein. Das von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) regierte Bayern arbeitet gerade an der Einführung - als Vorreiter für andere Länder und den Bund. Der Freistaat hat mit dem US-Unternehmen Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen, damit alle anderen Polizeien dessen Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen können.
In Hessen werden zunächst einmal nur Daten aus Polizeibeständen ausgewertet. In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst - oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hatte, hält das für hochproblematisch. Das Programm mache auch vor unbescholtenen Menschen nicht Halt. Außerdem sei die Verlockung groß, mit der Zeit auch externe Daten einzuspeisen - etwa aus sozialen Netzwerken.
Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und Kinderpornografie
Eingesetzt wird Hessendata - so der Name des Programms - insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. In der Karlsruher Verhandlung am 20. Dezember hatte ein Abteilungsleiter des hessischen Landeskriminalamts geschildert, wie das bei der großen Razzia gegen sogenannte Reichsbürger kurz zuvor eine Festnahme ermöglicht habe: Dank Hessendata sei aufgefallen, dass eine Nummer aus einer Telefonüberwachung einmal bei einem Verkehrsunfall angegeben wurde. So hätten Aufenthaltsort und Personalien festgestellt werden können.
Auch Software-Hersteller Palantir verteidigte den Einsatz des Analyse-Tools. Die Software ermögliche es deutschen Polizeibehörden, "ihre rechtmäßig erhobenen Daten schneller und effektiver zu verarbeiten", sagte der Strategiechef des Unternehmens für Europa, Jan Hiesserich, dem "Handelsblatt".
Das aktuelle Urteil betrifft ausschließlich die Datenanalyse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Als Kläger waren Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten aufgetreten. Die GFF hatte im Herbst noch eine dritte Verfassungsbeschwerde wegen der NRW-Software eingereicht. Diese war in dem Verfahren aber nicht mehr berücksichtigt worden.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa