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Exklusives Interview

Kommt die neue Corona-Welle? Virologe Hendrik Streeck im Interview

  • Aktualisiert: 13.09.2023
  • 16:24 Uhr
  • Simon Traub

Die Corona-Infektionen in Kliniken steigen wieder an. Neue Varianten des Virus, wie "BA.2.86", sorgen für Besorgnis, doch von einer Welle werde bisher noch nicht gesprochen. Was kommt auf uns zu? Virologe Hendrik Streeck hat Antworten.

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Prof. Dr. med. Hendrik Streeck gehört dem deutschen ExpertInnenrat an. Dieser Rat wurde vom Bundeskanzleramt damit betraut, die Bundesregierung mithilfe neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zur COVID-19-Pandemie zu beraten. Zusammengesetzt wird der Rat aus Forscher:innen verschiedener Fachrichtungen. Im exklusiven :newstime-Interview verrät uns Hendrik Streeck alles zur aktuellen Situation.

"Sorgen muss man sich nicht machen."

:newstime: Die Corona-Zahlen steigen. Einige fragen sich, geht das Ganze wieder von vorne los? Müssen sich die Leute Sorgen machen?

Hendrik Streeck: Nein, sorgen muss man sich in jedem Fall nicht. Das neue Corona-Virus hat sich im Grunde eingereiht mit all den anderen grippalen Infekten, die wir haben.

Im Herbst und Winter ist die Erkältungs-Saison, da gehen solche viralen Infektionen nach oben und das werden wir auch diesen Herbst und Winter erwarten mit dem Corona-Virus, dass die Fallzahlen steigen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir zum einen in der Bevölkerung eine sehr hohe Grundimmunität haben. Fast jeder hatte Kontakt mit dem Virus, fast jeder oder viele sind geimpft, so dass durch diese Grundimmunität der schwere Grad der Infektionen einfach heruntergesetzt wird. Zusätzlich haben wir immer noch die Omikron-Variante, daher ist das eben auch vom Vorteil. Also kurz gesagt,  Sorgen muss man sich nicht machen.

:newstime: Können wir schon von einer neuen Welle sprechen?

Hendrik Streeck: Wir hatten auch in den Jahren davor, im Herbst und so im September nach den Schulferien so ein Ansteigen der Infektionszahlen. Das ist noch nicht wirklich eine Welle. Eine Welle würde man eher dann zum Herbst erwarten, aber wir können nicht vorhersagen, wie sich das verhält.

Wir haben letzten Sommer gesehen, dass wir eine ungewöhnliche Sommerwelle hatten, aber dann im Herbst und Winter gar nicht so eine starke Welle und es kann auch sein, dass wir eher ein anderes Virus haben, was sich nach vorne drängt, wie zum Beispiel die Grippe.

:newstime: Können wir davon ausgehen, dass Tests und sogar Masken und Isolationen zurückkommen könnten?

Hendrik Streeck: Generell als Wissenschaftler muss ich sagen, sag niemals nie, aber ich halte es für fast unmöglich, dass wir eine generelle Maskenpflicht wieder haben werden oder eine Testpflicht.

Was wahrscheinlich passieren wird, ist, dass man in bestimmten Einrichtungen, wie zum Beispiel in Kliniken, wo krebserkrankte Menschen behandelt werden, sagt, wir arbeiten hier für den Herbst und Winter mit einer Maske. Oder wir bitten die Besucher, sich vorher zu testen, damit man die sehr hoch vulnerable Gruppe auch schützt.

Das sind aber dann so spezielle Entscheidungen, die für die allgemeinen Bevölkerung nicht gelten sollten.

:newstime: Wir gehen, wenn alles normal laufen sollte, nicht von der Überbelastung für die Bevölkerung oder Krankenhäuser aus?

Hendrik Streeck: Die Krankenhäuser sind sowieso in einer Situation, wo die Lage sehr angespannt ist. Wir haben einen Fachkräftemangel und das schon seit Jahren. Wir sind strukturell schlecht aufgestellt und zum Teil wurde auch sehr gespart in der Infrastruktur von den Krankenhäusern, sodass jede zusätzliche Belastung im Herbst und Winter natürlich auch eine extra Belastung sein wird.

Wir haben aber in den letzten Jahren gesehen, dass wir keine Überbelastung hatten und dass es wahrscheinlich wieder zu einer Strapazierung der Krankenhäuser kommen wird. Das wird wahrscheinlich aber auch im nächsten Jahr so sein, aber dass das nicht speziell auf Corona zurückgeführt werden kann.

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"Es ist nicht notwendig zu wissen, wie viele Menschen infiziert sind"

:newstime: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie hoch die Dunkelziffer ist und kann das zur Gefahr werden, dass man so viele Fälle nicht erkennt?

Hendrik Streeck: Die Dunkelziffer abzuschätzen ist wirklich sehr schwierig, da wir auch nicht mehr regulär testen. In dem Sinne, dass wir eine Reihe an PCR-Tests in den Laboren machen und dann die Positivenrate berechnen, sondern meistens zuvor schon ein Antigen-Test gelaufen ist, können wir eigentlich darüber keine Aussage treffen.

Ich denke, es ist aber auch nicht notwendig zu wissen, wie viele Menschen infiziert sind, denn wir machen das für keinen anderen grippalen Infekt. Wir machen es weder für die Influenza noch für zum Beispiel RSV- Infektionen, sodass wir schon sehr gut damit arbeiten können, einfach zu wissen, wie viele wurden symptomatisch getestet, sind erkrankt, müssen behandelt werden oder wurden positiv auf das Coronavirus getestet, weil sie sich krank fühlen und nicht wie viele zufällig mit dem Virus infiziert sind.

:newstime: Können Sie die Symptome für die neuen Varianten beschreiben?

Hendrik Streeck: Die neuen Varianten, die durch die Medien und durchs Netz geistern, sind im Grunde alles Omikron-Untervarianten. Das Omikron-Virus hat sich in den letzten Monaten sehr viel erweitert innerhalb der Variantenbildung. Wir reden da auch von einer Varianten-Suppe, weil wir so viele unterschiedliche Varianten haben.

Darum ist es nicht überraschend, dass auf der einen Seite manchmal EG5 genannt wird, manchmal der BA2.86 und dann ist es vielleicht morgen HK3 als Variante. Aber alles muss man als eine Omikron-Variante sehen. Sobald man das bisher symptomatisch überblicken kann, unterscheiden sich die Omikron-Subvarianten überhaupt nicht.

Man hat immer noch diese Erkältungs-Symptomatik, nicht mehr die wirklich schweren Lungeninfektionen, wie das bei Delta zum Beispiel der Fall war oder bei der Original-Variante, aber man hat immer noch die gleichen Symptomatiken, was man im Grunde mit einer Erkältungs-Krankheit vergleichen kann.

Die Impfungen bieten keinen Schutz vor der Infektion, aber die Impfungen bieten immer noch einen hervorragenden Schutz vor einem schweren Verlauf. Diese Unterscheidung muss man in jedem Fall treffen.

Man darf nicht unterscheiden, man macht nicht nur die paar Antikörper, die die Oberfläche erkennen, sondern man macht eine große Bandbreite an Immunantworten. Dazu gehören auch die T-Zell-Immunantworten, sodass wenn vielleicht einige dieser Immunantworten wegfallen durch die neuen Varianten, wir immer noch eine Grundimmunität haben.

Zusätzlich haben die meisten Menschen ja auch einen Kontakt mit dem Virus gemacht und dadurch noch zusätzliche Immunantworten aufgebaut, sodass man hier sagen kann, dass die Breite der Immunantwort stabil ist und stark genug auch gegen die neuen Varianten.

:newstime: Würde das heißen, dass Sie noch zur ersten Spritze raten, also für Leute, die noch gar nicht geimpft sind?

Hendrik Streeck: Naja, es gibt ja mittlerweile angepasste Impfstoffe und auch in ein paar Wochen sollen die auf die neuesten Varianten angepassten Impfstoffe kommen, sodass man immer raten würde, mit den angepassten Impfstoffen zu impfen. Da die auch die Varianten, die eher in der Zukunft kommen könnten, besser abdecken. Da zurückzugehen zu der Originalvariante, das würde man eigentlich nicht machen, obwohl auch die ursprüngliche Impfung hier immer noch genügend Schutz erzeugt vor einem schweren Verlauf.

:newstime

:newstime: Für wen würde sich Ihrer Meinung nach eine Auffrischimpfung lohnen?

Hendrik Streeck:  Die STIKO (Ständige Impfkommission) ist da ganz klar, dass sie sagt, dass nur Risikogruppen, die eine Vorerkrankung haben, die vielleicht ein schlechtes Immunsystem haben, sich nochmal impfen lassen sollen. Man sagt aber auch, dass Personen ab 60 Jahren eher auch zu einer Risikogruppe gehören. Da stellt sich die Frage, in welcher eigentlichen Verfassung man ist ab 60. Bei einigen gibt es mehr Grunderkrankungen, sodass man pauschal sagt, ab 60 Jahren wird eine Auffrischimpfung angeraten.

Es ist aber auch wichtig zu wissen, dass die STIKO sagt, dass man mindestens zwölf Monate Abstand zum letzten Antigenkontakt haben sollte. Was bedeutet, dass wenn man jetzt im Sommer eine Corona-Infektion hat, dass man sich nicht nochmal impfen lassen sollte, auch wenn man zu einer Risikogruppe gehört. Demnach immer den zwölf Monats Abstand und sonst impfen lassen, wenn man zu einer Risikogruppe gehört.

:newstime: Haben Sie Kontakte zu Ihrem Kollegen Professor Dr. Drosten? Wissen Sie, was der aktuell so treibt?

Hendrik Streeck:  Nein.

:newstime: Haben Sie manchmal den Gedanken, was das für eine verrückte Zeit war bei uns in Deutschland und in Europa und auf der Welt? Also blicken Sie aus Virologen-Sicht da anders drauf als ein normaler Bürger?

Hendrik Streeck: Ja, also ich glaube nicht, dass sich meine Sicht auf diese Zeit so unterscheidet von der Sicht von anderen Menschen. Ich halte es zum Teil auch für eine sehr verrückte Zeit. Vor allem, wenn man zurückschaut, mit was für einer Militanz zum Teil Maßnahmen durchgebracht wurden und wie wenig wir hier diskutiert haben.

Für mich ist es natürlich nochmal was Besonderes, weil ich dann sowohl beruflich als auch im alltäglichen Leben sehr viel mehr ins kalte Wasser geworfen wurde. Daher war das für mein Leben, glaube ich, ein sehr einschneidender Moment diese drei Jahre.

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"Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir eine Aufarbeitung haben"

:newstime: Was hätten Politik und Bevölkerung mit dem Wissen, das wir heute haben, zu Corona-Hochzeiten in Deutschland anders machen können, müssen?

Hendrik Streeck: Erstmal muss ich vorweg sagen, ich würde mir wirklich wünschen, dass wir eine Aufarbeitung haben dieser Zeit. Da geht es gar nicht um Finger zeigen oder zu sagen, was falsch gelaufen ist oder wer eine falsche Entscheidung getroffen hat, sondern es geht darum, daraus zu lernen. Das haben wir nicht geschafft, von Anfang an viele unterschiedliche Expertenstimmen zusammenzuziehen und zu versuchen, einen Konsens zu finden aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Einfach gesagt, was einem Psychologe redet in so einer Situation, ist etwas sehr anderes als was ein Virologe sagt. Diese Stimmen und Expertisen zusammenzubringen, damit hätte man wahrscheinlich sehr viel besser auch diese Krise bewältigen können.

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