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Agrarökonom ordnet ein

Ampel-Beschlüsse gleich Höfesterben? Wie es um die Bauern wirklich steht

  • Aktualisiert: 10.01.2024
  • 09:51 Uhr
  • Lena Glöckner

"Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert" - mit Sprüchen wie diesen tragen Bauern ihren Frust auf die Straße. Vom "Sterben auf Raten", spricht auch der Präsident des Bauernverbandes. Kommen die Beschlüsse wirklich einem Höfesterben gleich? Die Fakten.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Seit Montag protestieren bundesweit Tausende Landwirte gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung.

  • Auch der Präsident des Bauernverbands wirft der Ampel vor, ihre Beschlüsse bedeuteten "Ein Sterben auf Raten".

  • :newstime lässt die Aussagen von einem Agrarökonomen einordnen.

Lange Konvois von Traktoren und Lastwagen ziehen sich durch zahlreiche Städte, zig Autobahnauffahrten sind bundesweit zeitweise blockiert: Die Aktionswoche der Bauern gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung sorgt seit Montag (8. Januar) in Deutschland für Aufsehen. Unmittelbarer Anlass der Kundgebungen sind die mittlerweile zum Teil schon wieder zurückgenommene Kürzungspläne der Bundesregierung bei den Steuervergünstigungen für Bauern.

Nach Ansicht des Bauernverbands nehmen die Kürzungen beim Agrardiesel der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Die Zugeständnisse genügten nicht. "Das heißt ja am Ende Sterben auf Raten", sagte der Präsident Joachim Rukwied bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten im Kloster Seeon. "Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden." Die von der Ampel geplanten Subventionskürzungen seien eine Steuererhöhung von einer Milliarde Euro.

Das bedeuten die Kürzungen wirklich

Laut Bundesregierung bedeutet ein Wegfall der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel im Schnitt Mehrkosten von etwa 3.000 Euro im Jahr pro Betrieb. Die generelle Ertragslage der Landwirtschaft hatte sich nach Branchenangaben zuletzt weiter verbessert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte klar: "Die Bundesregierung steht dazu." Die Subventionen seien schon seit vielen Jahren kritisiert worden.

Alfons Balmann ist Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung. Er hält die Einschnitte beim Wegfall des Agrardiesels für gering. Im Gespräch mit :newstime erklärt er, dass es hierbei um eine Kürzung von zehn Euro pro Hektar in diesem Jahr gehe. "In drei Jahren, wenn die Agrardieselhilfen komplett wegfallen, verlieren Betriebe etwa 30 Euro pro Hektar", so der Agrarökonom. Das seien nur etwa sechs Prozent der Zuschüsse und Beihilfen, die die Betriebe bisher erhalten. "Und auch nur ein Bruchteil dessen, was landwirtschaftliche Betriebe beispielsweise für die Pacht von landwirtschaftlichen Flächen ausgeben."

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:newstime

Ein Höfesterben sei deshalb nicht zu befürchten. Auch weil kleinere Betriebe weniger an Diesel-Beihilfe verlören - "einfach, weil sie weniger Fläche bewirtschaften". Wenn kleinere Betriebe jetzt vermehrt aufgeben, liege das  eher daran, dass ihnen die Perspektive fehlt, sich mit künftigen Auflagen entsprechend zu verändern.

Warum die Bauern eigentlich protestieren

Die verbliebenen Sparbeschlüsse seien für die Landwirtschaft schmerzhaft, so Balmann, "aber sie sind letztlich verschmerzbar". Sie erklären deshalb auch nicht die jetzt auftretenden Proteste, meint der Experte. Es gebe viele andere Gründe, wie, dass die Landwirtschaft sich unter enormen Veränderungsdruck gesetzt fühlt. "Das betrifft den Umweltschutz, den Klimaschutz, den Tierschutz - und all dieser Veränderungsbedarf kommt jetzt plötzlich zusammen."

Eigentlich hätten die Landwirte erwartet, dass die Regierung dafür zusätzliches Geld bereitstellen würde. Das wird aber nicht passieren, im Gegensatz, stattdessen werden Sparbeschlüsse getroffen. "Die Betriebe haben Angst, dem zukünftigen Veränderungsbedarf nicht gerecht werden zu können."

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So viel verdient ein deutscher Bauer im Schnitt

Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Landwirtschaftsbetriebe auf das Rekordniveau von 115.400 Euro - ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon sind aber unter anderem noch Investitionen zu bezahlen. Angesichts sinkender Preise etwa bei Getreide und Milch hatte der Bauernverband sich bereits vor Bekanntwerden der Ampel-Pläne pessimistisch zu den weiteren Geschäftsaussichten geäußert.

Im Video: Agrarökonom Balmann über die Angst der Bauern - ist die Wut gerechtfertigt?

Laut Balmann hat sich die Einkommenssituation der Bauern in den letzten drei Jahren eigentlich sehr positiv entwickelt. Vor allem bei größeren Betrieben, aber auch kleinere Betriebe hätten profitiert. "Aber die sind ohnehin auf einem Einkommensniveau, mit dem man langfristig nicht wettbewerbsfähig ist." Absolut würden größere Betriebe zwar mehr an Subventionen verlieren, allerdings seien sie insgesamt leistungsfähiger und könnten die Sparbeschlüsse besser verkraften und entsprechend umsetzen.

Soll die Bundesregierung die Forderungen erfüllen?

Wenn die Bundesregierung auf die jetzigen Forderungen der Landwirte eingehen würde? "Dann würde das der Landwirtschaft nicht wirklich helfen", erklärt Agrarökonom Balmann im Gespräch. "Die Probleme, die die Landwirtschaft momentan eigentlich umtreiben, wären weiterhin ungelöst." Damit bezieht sich der Landwirtschaftsexperte einerseits auf den enormen Veränderungsbedarf mit Blick auf mehr Tier-, Umwelt und Klimaschutz. Andererseits würden Subventionen ohnehin gekürzt werden müssen.

Denn die Landwirtschaft sei sehr abhängig von Subventionen, so der Experte weiter. "Aus dieser Abhängigkeit muss sie herauskommen. Das muss sie vor allen Dingen aber selber schaffen." Die Politik könne zwar helfen, indem sie agrarstrukturelle Entwicklungen, die die Subventionsabhängigkeit verringern, befördert. "Das heißt aber letztlich auch: ein beschleunigter Strukturwandel."

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Proteste hätten verhindert werden können

Agrarökonom Balmann beklagt im Gespräch die Instrumentalisierung der Proteste sowohl durch rechte Gruppen, aber auch durch die Opposition. Ein CDU-Plakat aus Sachsen, auf dem ein Landwirt eine Mistgabel in der Hand hält und droht, hält er für nicht angemessen. "Die CDU ist mitverantwortlich. Im Grunde genommen haben wir seit 15 Jahren keine grundlegenden Reformen der Landwirtschaftspolitik erlebt."

Auch den landwirtschaftlichen Verbänden, die zu den Protesten aufrufen, müsse man eine gewisse Mitverantwortung zuweisen, findet Balmann. Sie hätten in der Vergangenheit verhindert, dass bestehende Probleme rechtzeitig gelöst werden. "Dadurch ist die Landwirtschaft nun gleichzeitig mit Subventionskürzungen und enormem Veränderungsdruck konfrontiert", erklärt der Agrarökonom. "Hätte man früher angefangen, sich auf Veränderungen einzulassen und sie aktiv und konstruktiv unterstützt, wären die Frustrationen jetzt vermutlich geringer."

  • Verwendete Quellen:
  • Gespräch mit Alfons Balmann
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