"Viele können einfach nicht mehr"
Nächste Gewerkschaft fordert Vier-Tage-Woche
- Aktualisiert: 17.11.2023
- 05:17 Uhr
- Rebecca Rudolph
Können sich Arbeitnehmer schon bald über eine Vier-Tage-Woche freuen? Die Gewerkschaften in Deutschland treten mit zunehmend offensiven Forderungen auf, jetzt mit dem Fokus auf eine Vier-Tage-Woche. Doch die Arbeitgeberseite stellt sich dem entgegen.
Das Wichtigste in Kürze
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verkündet, dass ihre Gewerkschaft in kommenden Tarifverhandlungen einen neuen Fokus setzen wird.
Die NGG strebt in den kommenden Jahren nach Arbeitszeitverkürzungen.
Arbeitgeber:innen argumentieren dagegen, dass dies weder umsetzbar noch finanziell machbar sei.
Nach der IG Metall kündigt die nächste große Gewerkschaft an, in künftigen Tarifverhandlungen nicht mehr nur über Lohnerhöhungen sprechen zu wollen. Freddy Adjan, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verkündet, dass ihre Gewerkschaft in kommenden Tarifverhandlungen einen neuen Fokus setzen wird. Anstatt ausschließlich über Lohnerhöhungen zu diskutieren, strebt die NGG in den kommenden Jahren nach Arbeitszeitverkürzungen. "Wir werden in den nächsten Jahren auf Arbeitszeitverkürzungen drängen", sagt Adjan.
Pauschale Forderungen kann es keine geben
Die NGG vertritt Branchen wie das Gastgewerbe, die Getränke- und Süßwarenindustrie, den Bereich Obst und Gemüse, Backwaren, Fleisch sowie Milch und Zucker. Konkrete Forderungen liegen noch nicht vor. "Das entscheiden die jeweiligen Tarifkommissionen", sagt NGG-Chef Guido Zeitler gegenüber der WELT. "Denn wir sind sehr dezentral aufgestellt."
Bundeseinheitliche Regelungen gebe es nur für wenige Branchen. Darüber hinaus variieren die Voraussetzungen stark voneinander. "Wir haben Branchen, in denen 37 Stunden Wochenarbeitszeit tariflich festgelegt sind, in anderen 39 oder teils auch 40 Stunden." Dementsprechend könne es auch keine pauschale Forderung geben.
Wichtig ist der NGG das Thema schon länger. "Die Coronakrise war aber nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu verhandeln", schildert Zeitler. Zuletzt lag der Fokus aufgrund der Inflation bewusst auf den Entgelten. Doch das soll sich nun ändern, verkündet Zeitler während des fünftägigen Gewerkschaftstreffens der nahezu 200.000 Mitglieder:innen starken NGG in Bremen.
Die IG Metall trat zuletzt energisch in Bezug auf Arbeitszeit auf. Für die rund 80.000 Mitarbeiter:innen in der deutschen Stahlindustrie fordert sie nicht nur eine Lohnerhöhung um 8,5 Prozent, sondern auch die Einführung einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Ebenso strebt die Lokführergewerkschaft GDL an, dass ihre Mitglieder weniger arbeiten, ohne dabei finanzielle Einbußen zu erleiden. Die Deutsche Bahn lehnt dies entschieden ab, was bereits zu einem ersten Bahnstreik geführt hat.
Im Video: Zukunftspotential? IG Metall fordert Vier-Tage-Woche
Zukunftspotential? IG Metall fordert Vier-Tage-Woche
Arbeitgeberverband Stahl: Weder umsetzbar noch finanziell machbar
Mit dem Ende der Friedenspflicht Ende November könnten in der Stahlindustrie Streiks möglich werden. Es scheint, als ob auch dort Arbeitskämpfe unausweichlich sind, da die Arbeitgeber:innen die Arbeitszeitverkürzung ablehnen und nicht nachvollziehen können. Gerhard Erdmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl, argumentiert, dass dies weder umsetzbar noch finanziell machbar sei. Er verweist dabei besonders auf den bereits bestehenden Mangel an Arbeitskräften und Fachleuten.
Es erschließt sich nicht, wie ein Mangel an Mitarbeiter:innen ausgerechnet durch eine künstliche Verknappung von Arbeitszeit ausgeglichen werden können soll.
Gerhard Erdmann, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl
Im Gegenteil: Das sorge sogar für zusätzlichen Bedarf an neuen Mitarbeiter:innen, sagt Erdmann.
Auch die NGG sieht diesen Widerspruch zwischen zunehmendem Arbeits- und Fachkräftemangel einerseits und der Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten andererseits. Vor dem Hintergrund des Ausscheidens geburtenstarker Jahrgänge aus dem Erwerbsleben prognostiziert die Gewerkschaft in den kommenden Jahren sogar einen "noch massiveren Fachkräfte-Schwund" in weiten Teilen der Lebensmittelherstellung.
Technologische Entwicklungen als Lösung
Für den NGG-Vorstand ist das kein Grund, das Ziel einer Arbeitszeitverkürzung fallen zu lassen. "Wir können die Anforderungen der Menschen nicht ignorieren", begründet Gewerkschafts-Boss Zeitler.
Es gebe nun mal den Wunsch der Beschäftigten nach mehr Frei- und Familienzeit. "Irgendwann können viele auch einfach nicht mehr." Außerdem gebe es technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und die Automatisierung.
"Dadurch reduziert sich der Bedarf an Mitarbeiter:innen", erklärt Zeitler. Und die Gewinne daraus müssen verteilt werden, auch an die Mitarbeiter:innen, zum Beispiel in Form geringerer Arbeitszeiten.
- Verwendete Quellen: