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Mit Streik zum Erfolg

Die GDL: Deutschlands streitbarste Gewerkschaft

  • Veröffentlicht: 09.02.2024
  • 12:42 Uhr
  • Michael Reimers
Gewerkschaftsmitglieder stehen mit Fahne und Transparent vor dem Erfurter Hauptbahnhof.
Gewerkschaftsmitglieder stehen mit Fahne und Transparent vor dem Erfurter Hauptbahnhof.© Martin Schutt/dpa

Mit vielen Streiks und einem polarisierenden Anführer macht sich die GDL oft nicht sehr beliebt. Doch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer hat in ihrem über 150-jährigen Bestehen schon einiges erreicht. Über ihre Entstehung, die größten tarifpolitischen Ereignisse und was die größten Kritikpunkte sind.

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Was ist die GDL und wie lautet ihr Auftrag?

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, kurz GDL, ist mit über 150 Jahren seit Gründung eine der ältesten Gewerkschaften Deutschlands. Sie vertritt das Personal der Eisenbahnverkehrs- und Infrastrukturunternehmen in Deutschland. Laut Satzung ist es ihr Anliegen, die "beruflichen, sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen und ökologischen Interessen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern". Im Grundsatz kämpft die GDL für eine bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen des Eisenbahnpersonals verschiedener Bahnunternehmen. Sie ist Tarifpartner der Deutschen Bahn und diverser privater Eisenbahnunternehmen.

Organisiert ist die GDL als ein Unternehmen mit einer alle vier Jahre stattfindenden Generalversammlung. Diese Versammlung bestimmt die allgemeinen Richtlinien für die Gewerkschaftspolitik. Das oberste Organ zwischen den Generalversammlungen ist der Hauptvorstand der GDL. Darunter befinden sich sieben Bezirksgruppen, 200 Ortsgruppen und die eigenständige Jugendorganisation GDL-Jugend, die 1958 gegründet wurde und die gewerkschaftspolitischen Interessen der Jugend in der Gewerkschaft vertritt.

Nach eigenen Angaben hat die GDL in Deutschland fast 40.000 Mitglieder. Seit 2008 ist Claus Weselsky der Bundesvorsitzende der GDL.

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Entstehung der GDL

1867 wurde der Verein Deutscher Lokomotivführer (VDL) gegründet. Er sammelte die Lokomotivführer unter sich, organisierte eine bessere Altersversorgung und setzte sich für einen sicheren Eisenbahnverkehr ein. 1919 wurde der Verein zur Gewerkschaft und hieß nun GDL. Als der Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht kam, waren Gewerkschaften nicht gerade beliebt, also wurde der alte Name wieder angenommen. Die GDL zerschlug sich und bildete sich erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus verschiedenen Ortsverbänden neu. 1949 fand die erste Generalversammlung statt und die GDL trat dem Deutschen Beamtenbund (DBB) bei.

Nach der Wende gründete sich 1990 in der damaligen DDR die GDL als erste freie Gewerkschaft. 1991 vereinigten sich die beiden Lokomotivführergewerkschaften in West und Ost zur gesamtdeutschen GDL.

Im Video: Genervt von Streiks? In diesen EU-Ländern gibt es noch mehr Proteste

GDL und EVG: Konkurrenz dank Tarifeinheitsgesetz

Die GDL ist mit knapp 40.000 Mitgliedern eine eher kleine Gewerkschaft. Ihr Konkurrent ist die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die mit rund 185.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft des Eisenbahn- und Transportwesens in Deutschland ist. Die beiden Gewerkschaften gehören zu unterschiedlichen Dachorganisationen: Die EVG ist Teil des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), während die GDL unter dem Deutschen Beamtenbund (DBB) organisiert ist.

Das Personal in den verschiedenen Bahnunternehmen kann entscheiden, welche Gewerkschaft die eigenen Interessen vertreten soll. Das führt zu einem Konkurrenzkampf der verschiedenen Gewerkschaften um neue Mitglieder. Doch erst seit 2015 hat das Thema so richtig Brisanz bekommen, denn am 22. Mai 2015 wurde das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet. Das sieht vor, dass im Falle von Konflikten zwischen mehreren Gewerkschaften in einem Unternehmen nach dem Mehrheitsprinzip geordnet wird. Können sich Gewerkschaften über die Inhalte verschiedener Tarifverträge nicht einigen, gilt nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder hat. So soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gesichert werden.

Die GDL, die sich durch geringere Mitgliederzahlen in Gefahr sah, reichte eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Grundrechte ein. Die im Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit sei gefährdet. 2017 wurde die Klage abgelehnt. 2022 hielt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Gesetz für rechtskonform und wies damit eine Beschwerde des DBB zurück.

Bei der Deutschen Bahn ist die EVG die wesentlich stärkere Arbeitnehmervertretung, ungefähr 180.000 Beschäftige werden nach EVG-Tarifwerk bezahlt. Die GDL hat nur in 16 der insgesamt 300 Deutsche Bahn-Betrieben die Nase vorn, ist dafür bei den privaten Bahnunternehmen auf Platz 1.

Nicht nur der Konkurrenzkampf, auch eine private Fehde erschüttert das Verhältnis zwischen GDL und EVG. Als sich die EVG 2010 aus dem Zusammenschluss der beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA bildete, sagte GDL Chef Weselsky auf einer Protestveranstaltung: "Wenn sich zwei Kranke miteinander ins Bett legen und ein Kind zeugen, da kommt von Beginn an was Behindertes raus". Diese Aussage zog viel Kritik nach sich, besonders EVG-Chef Alexander Kirchner, dessen Sohn mit Behinderung auf die Welt kam und an der Folge starb, fühlte sich persönlich angegriffen. Auch wenn sich Weselsky kurze Zeit später für die Aussage entschuldigte, bleibt das Verhältnis zerrüttet.

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Wichtige tarifpolitische Ereignisse in der Geschichte der GDL im Überblick

2002: Die GDL vertritt nicht mehr nur Lokomotivführer, sondern das gesamte Fahrpersonal der Deutschen Bahn. Ursprünglich war hier auch der öffentliche Personennahverkehr integriert, der wurde 2012 an die Nahverkehrsgewerkschaft im Beamtenbund abgegeben.

2007/2008: Mit dem Lokomotivführervertrag (LfTV) sichert sich die GDL das Recht, eigenständiger Tarifpartner der Deutschen Bahn zu sein. Dem Beschluss ging ein langer Tarifkonflikt mit der DB voraus, mit den ersten flächendeckenden Lokführerstreiks. Nach der Beendigung der Verhandlungen gab Manfred Schell den GDL-Vorsitz an Claus Weselsky ab.

2011: Die GDL möchte einen Bundes-Rahmen-Lokomotivführertarifvertrag, der dafür sorgt, dass das Gehalt bei der DB und Privatbahnen angeglichen wird. Um eine Zustimmung zu erzwingen, kam es besonders in Norddeutschland zu wochenlangen Streiks. Als auch mit einem Schlichtungsverfahren keine Einigung erzielt werden kann, muss die GDL die Streiks in vielen Orten einstellen.

2014/2015: Bei den Tarifverhandlungen will die GDL das Zugpersonal der DB vertreten, was die Deutsche Bahn ablehnt. Das Gesetz zur Tarifeinheit ist Auslöser des Streits. Es kommt in diesem Jahr zu insgesamt neun Streiks mit 420 Stunden Gesamtdauer. Ende Juni 2015 stimmten beide Seiten einer Schlichtung zu.

2016/2017: In dieser Tarifrunde setzt die GDL unter dem Motto "Mehr Plan, mehr Leben" bei der DB bessere Arbeitszeiten und eine verbindliche Schichtplanung für das Zugpersonal durch.

2020/2021: Während der Corona-Pandemie appellierte die DB an die Gewerkschaften, bei den Verhandlungen die Milliardenverluste der Deutschen Bahn aufgrund der Pandemie-Restriktionen zu beachten. Doch GDL-Chef Weselsky will seine Forderungen nach mehr Gehalt und einer Coronazulage mit Streiks durchsetzen. Im September 2021 einigt man sich auf einen neuen Tarifvertrag.

2023: Die Verhandlungen zwischen DB und GDL gehen weiter. Die GDL verlangt unter anderem eine Absenkung der Arbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden pro Woche ohne Lohnverlust. Auch die Zahlung einer einmaligen Prämie von 3.000 Euro zum Inflationsausgleich sowie 555 Euro mehr Lohn für die Lokführer gehören zu den Forderungen. Die Deutsche Bahn bleibt hart, eine Einigung ist nicht in Sicht. Streiks um die Weihnachtszeit sollen vermieden werden, doch in einer Urabstimmung am 19. Dezember 2023 beschließt die GDL, dass ab 8. Januar 2024 unbefristete Streiks in ganz Deutschland stattfinden können.

Streiks und Machtkämpfe: Kritik an der GDL

In der öffentlichen Meinung ist die GDL nicht sehr hoch angesehen. Mit andauernden Streiks bringt sie den Alltag der Menschen durcheinander und sorgt für Ärger. Auch wenn die Streiks für Reisende ein großes Ärgernis darstellen, sind sie eine erfolgreiche Strategie für die Durchsetzung ihrer Forderungen und Bahnangestellte profitieren davon. Waren es 2013 noch 3.202 Euro mittlerer Bruttolohn pro Monat für Lokführer:innen, hat sich das Gehalt 2023 auf durchschnittlich 3.735 Euro erhöht.

Immer wieder trifft die GDL auch der Vorwurf, sie setze Streiks unnötig ein. Ein Streik sollte die letzte Möglichkeit sein, Forderungen durchzusetzen. Da die GDL die kleinere Gewerkschaft in Auseinandersetzungen mit der DB ist, muss sie sich gegen den Platzhirsch EVG durchsetzen. Das tut sie häufig durch einen konfrontativen Ton und hohe Forderungen. Besonders zu Pandemie-Zeiten warf die DB der GDL vor, nicht im Allgemeinwohl zu handeln und wichtigen Güterverkehr und versorgungsrelevante Züge aus eigennützigen Gründen zu blockieren.

An der Spitze der GDL steht Bundesvorsitzender Claus Weselsky. Der streitbare Sachse polarisiert sowohl mit seinem Verhalten als auch mit seinen Aussagen. Einerseits wäre die GDL ohne seine unnachgiebige Streitlust heute nicht, wo sie ist, andererseits wird ihm eine egozentrische Kompromisslosigkeit nachgesagt. Durch und durch Machtmensch soll er sein, mit einem unnachgiebigen, autoritären Führungsstil. 2013 eskaliert ein Konflikt an der GDL-Gewerkschaftsspitze, der in der Entlassung der stellvertretenden Vorsitzenden Sven Grünwoldt und Thorsten Weske gipfelte. Weselsky wurde vorgeworfen, er wollte sich nur seiner Gegner entledigen. Ehrenvorsitzender und Weselskys Vorgänger Manfred Schell legte daraufhin aus Protest den Ehrenvorsitz nieder. 2024 will Weselsky in Rente gehen, Nachfolger soll sein Stellvertreter Mario Reiß werden.

  • Verwendete Quellen:
  • Website der GDL
  • Tagesschau: Über die GDL
  • Deutscher Bundestag: Gesetz zur Tarifeinheit
  • Bundesagentur für Arbeit: Entgelt Eisenbahner
  • BR: Worum es beim Tarifkonflikt geht
  • Statista: Mitglieder in Gewerkschaften des DGB
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