Nach Tod von Raisi
Hardliner oder Reformkandidat: Wer wird Irans neuer Präsident?
- Aktualisiert: 05.07.2024
- 18:53 Uhr
- dpa
In der Stichwahl um das Präsidentenamt sind im Iran rund 61 Millionen Menschen aufgerufen, sich zwischen dem als gemäßigt geltenden Politiker Massud Peseschkian und dem Hardliner Said Dschalili zu entscheiden.
Im Iran läuft seit Freitag (5. Juli) die Stichwahl um das Präsidentenamt. Rund 61 Millionen Menschen sind aufgerufen, zwischen dem im Land als gemäßigt geltenden Politiker Massud Peseschkian und dem Hardliner Said Dschalili zu wählen. Staatsoberhaupt und Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei eröffnete am Morgen in Teheran die Wahl. Aus ihr soll der Nachfolger des bisherigen Amtsinhabers Ebrahim Raisi hervorgehen, der bei einem Hubschrauberunglück ums Leben kam.
Die Wahllokale waren regulär bis 16:30 Uhr deutscher Zeit geöffnet. Die Möglichkeit abzustimmen, wurde jedoch um vier Stunden verlängert. Mit ersten Ergebnissen wird Samstag (6. Juli) gerechnet.
Von 80 Bewerbern hatte der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, nur sechs als Kandidaten zugelassen. Zwei von ihnen zogen sich zurück. Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer Chamenei.
Im Video: Wie geht es nach dem Tod von Irans Präsidenten Raisi weiter?
Reformkandidat gegen Hardliner
Der Reformkandidat Peseschkian ist 69 Jahre alt und stammt aus dem Nordwesten Irans. Im Wahlkampf warb der bisher eher unscheinbare Politiker für neues Vertrauen zwischen Regierung und Volk, das nach gescheiterten Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise von der Politik maßlos enttäuscht ist. Wie viele Politiker des Reformlagers forderte er eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen.
Im Wahlkampf kritisierte Peseschkian etwa die Internetzensur sowie das repressive Vorgehen der Sittenwächter gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit gegen die Kopftuchpflicht verstoßen. Gleichzeitig bekundete der frühere Gesundheitsminister seine Loyalität gegenüber Religionsführer Chamenei. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der Reformen für notwendig hält. Kritiker halten ihm vor, dass er diese angesichts einer Mehrheit von Hardlinern im Parlament gar nicht erst umsetzen könnte.
Dschalili auf der anderen Seite gehörte früh zum engsten Machtzirkel und arbeitete im Büro des Religionsführers. Unter dem umstrittenen früheren Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war Dschalili Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen. Der Hardliner genießt breite Unterstützung von radikalen und loyalen Systemanhängern. Er gilt als eiserner Verfechter der Ideologie der Islamischen Revolution im Iran.
Wenig Wahlstimmung, viel Frustration
Bei der ersten Runde am vergangenen Freitag erreichte die Wahlbeteiligung nach offiziellen Daten mit rund 40 Prozent ein Rekordtief. Darin spiegelt sich die große Enttäuschung vor allem der jungen Generation, die den Glauben an große innenpolitische Veränderungen verloren hat. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem. Chamenei beklagte die niedrige Wahlbeteiligung, wies aber die Lesart zurück, dass dies Ausdruck für die Ablehnung des politischen Systems sei.
Peseschkian kam vor einer Woche auf rund 10,4 Millionen (rund 42,5 Prozent), Dschalili auf 9,4 Millionen Stimmen (38,7 Prozent). Für den konservativen Drittplatzierten, Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf, stimmten etwa 3,4 Millionen Landesbewohner. Er sprach dann Dschalili seine Unterstützung aus. Damit geht das konservative Lager mit einem leichten Vorteil in die Runde. Reformkandidat Peseschkian müsste für einen Sieg vor allem Nichtwähler umstimmen.
Zahlreiche Menschen boykottierten die Wahl und kritisierten das politische System zugleich. "Der Unterschied zwischen den beiden Kandidaten beschränkt sich letztlich auf Kleinigkeiten, die keinen Einfluss auf die Wirtschaft und das Leben der Menschen haben", sagte Asghar, ein 40 Jahre alter Angestellter eines Supermarkts in der Hauptstadt Teheran. Hesam, ein Student, bezeichnete den Wahlkampf und die TV-Debatten als inszeniert.
Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung. Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte.