Unglück in den Alpen
Nach Gletscherabbruch: Schweiz droht Flutwelle
- Aktualisiert: 29.05.2025
- 12:11 Uhr
- dpa
Nach dem gigantischen Gletscherabbruch im Kanton Wallis steht der Schweiz nun eine weitere Katastrophe bevor: Hinter dem meterhohen Damm aus Geröll, Fels und Eis stauen sich immense Wassermassen.
Nach dem gigantischen Gletscherabbruch im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis droht nun eine weitere Katastrophe. Ein meterhoher Damm aus Geröll, Fels und Eis verhindert den Abfluss des Flüsschens Lonza. Dahinter stauen sich bereits immense Wassermassen.
Wenn das Wasser durchbricht, droht weiter unten im Tal eine Flutwelle. In zwei Weilern wurden bereits mehrere Häuser vorsichtshalber geräumt. Auf Drohnenbildern ist das fast ganz unter einer meterhohen Schuttschicht begrabene Dorf Blatten kaum mehr zu sehen. "Ein Tal weint", schrieb die Online-Plattform des lokalen Medienhauses Pomona.
Sorge vor Dammbruch wächst
"Das Schlimmste wäre, dass sich Wasser aufstaut bis zur Krone des Bergsturzdammes", sagte der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern dem Schweizer Radiosender SRF. Der Fluss könne sich dann in das Gestein-Eis-Gemisch einschneiden, der Damm instabil werden und brechen.
"Dann könnten sehr starke Flutwellen oder Murgänge von diesem Seeausbruch für die Gemeinden, die im unteren Tal liegen, drohen." Die Armee ist bereits mobilisiert. Mit Drohnen und Hubschrauberüberflügen wird die Lage stündlich beurteilt.
Dorgbewohner von Blatten stehen unter Schock
Die rund 300 Einwohner:innen des Dorfes Blatten haben alles verloren. 90 Prozent des Dorfes, rund 130 Häuser sowie die Kirche, sind unter einer Schuttschicht begraben. Sie sei zwischen 50 und 200 Metern dick, sagte Naturgefahrenchef Raphaël Mayoraz bei einer Medienkonferenz. Der Kegel ist zwei Kilometer lang und rund 200 Meter breit. Insgesamt donnerten nach Schätzungen drei Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis des Birchgletschers ins Tal.
Die wenigen verbliebenen Häuser sind nach Angaben der Behörden inzwischen durch den wachsenden Wasserstau der Lonza überflutet. Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1.500 Metern Höhe.
Die gute Schweizer Überwachung der Gebirge hatte schon Mitte Mai zu Warnungen geführt, dass oberhalb des Dorfes ein Bergsturz droht. Als die Spalten im Fels schnell wuchsen, kam am 19. Mai aber doch recht plötzlich der Aufruf, das Dorf innerhalb einer Stunde zu verlassen. Viele haben in Kürze das Nötigste zusammengepackt und sind abgefahren.
Über Tage bröckelte der Fels und Brocken donnerten ins Tal, aber nichts davon erreichte Blatten. Bei der Evakuierung machten viele deutlich, dass sie die Vorsichtsmaßnahmen zwar schätzten, aber dennoch damit rechneten, dass das Dorf glimpflich davonkommt - wie bei ähnlichen Lagen in anderen Bergregionen.
Schlimmstes Szenario bewahrheitete sich
Im Lötschental ist aber das schlimmste erdenkliche Szenario Wirklichkeit geworden. Der Abgeordnete Beat Rieder aus dem Nachbarweiler Wiler sprach im Fernsehen von einer Jahrhundertkatastrophe. "Es ist ein Ereignis, das das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat", sagte er im Schweizer Fernsehen. "Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat", sagte er. "Man blickt auf den Bildschirm und kann nichts machen, das ist ein schwerer Schock."
Seit die Eis- und Gerölllawine am Mittwochnachmittag mit gigantischem Getöse und einer Staubwolke wie nach einer Explosion ins Tal donnerte und Blatten unter sich vergrub, werden die Bewohner:innen abgeschirmt und betreut. Gemeinderatsmitglieder zeigen sich vor der Presse fassungslos. Ein 64-jähriger Einheimischer war trotz Räumung am Mittwoch im Gefahrengebiet unterwegs und wird noch vermisst.
Bischof spendet Trost
Der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey, bemühte Worte des Propheten Jesaja, um den Menschen Trost zu spenden: "Die Berge mögen weichen und die Hügel wanken, aber meine Liebe zu dir wird nicht weichen und mein Friedensbund mit dir wird nicht wanken (Jes 54,10)", zitierte er.
Das Lötschental ist auch ein Urlaubsparadies, im Sommer mit Wander- und Kletterrouten sowie Bergseen und viel unberührter Natur und mit Blick teils auf 40 Viertausendergipfel, im Winter mit kilometerlangen Skipisten. Es war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels 1913 und dem Bau einer Straße in den 1950er-Jahren nur schwer erreichbar.